Proteine aus Pflanzentränen

24.05.2018 von Christopher Hamich in Wissenschaft, Forschung
In einem Gewächshaus hinter dem Biologicum am Weinberg Campus stehen Mairübchen, die gerade eine schwere Phase durchleben: Sie weinen. Natürlich tun sie dies nicht aus gefühlvollen Anwandlungen, sondern für ein Forschungsprojekt. An ihnen erforscht der hallesche Biologe Dr. Martin Schattat, ob sich mit Hilfe der Pflanzen künftig einmal Wirkstoffe für Medikamente einfach und kostengünstig gewinnen lassen.
Am Institut für Pflanzenphysiologie wird erforscht, ob "weinende" Pflanzen zur Herstellung bestimmter Proteine nutzbar sind.
Am Institut für Pflanzenphysiologie wird erforscht, ob "weinende" Pflanzen zur Herstellung bestimmter Proteine nutzbar sind. (Foto: Martin Schattat)

Im Grunde ist es nichts Besonderes, dass Pflanzen weinen. „Über die Wurzeln werden Nährstoffe nach oben geleitet, die dann innerhalb der Blätter verarbeitet werden. Das Transportmedium dafür ist Wasser“, sagt Dr. Martin Schattat, Biologe und Leiter der Nachwuchsforschergruppe „Form und Dynamik pflanzlicher Organellen“ am Institut für Pflanzenphysiologie der Uni Halle.

Normalerweise verdunstet dieses Wasser einfach auf den Blättern und dabei entsteht ein Sog, der immer neues Wasser in die Blätter zieht. Nicht aber, wenn eine hohe Luftfeuchtigkeit vorherrscht. „Dann kann das Wasser nicht verdunsten; die Wurzeln beginnen stattdessen zu pumpen“, so Schattat. Weil die Blätter aber kein weiteres Wasser aufnehmen können, geben sie überschüssiges Wasser durch kleine Spaltöffnungen an den Blattspitzen ab. Man nennt diesen Vorgang Guttation.

Die Idee kam in der Vorlesung

Martin Schattat und Alexandra Gurowietz forschen an den Pflanzen.
Martin Schattat und Alexandra Gurowietz forschen an den Pflanzen. (Foto: Christopher Hamich)

Das Besondere: In dieser „Tränen“-Flüssigkeit sind auch Proteine enthalten, die die Pflanzen hergestellt haben. Diese dienen vermutlich als Abwehrstoffe gegen Krankheitserreger. Als Schattat vor etwa zwei Jahren in einer Vorlesung über diesen Prozess sprach, kam ihm ein Einfall: Könnte man die Pflanze so manipulieren, dass sie ganz bestimmte, für verschiedene Zwecke benötigte Proteine herstellt? Gemeinsam mit der Doktorandin Alexandra Gurowietz untersucht er nun verschiedene Pflanzen: „Wir schauen, welche Proteine in diesem Wasser vorhanden sind und versuchen, die Pflanzen dann so zu verändern, dass sie ganz bestimmte Proteine herstellen und diese in die Tropfen geben.“

Ermöglicht wird die Arbeit dank des „Experiment!“-Förderprogramms der VolkswagenStiftung. Bei diesem sollen explizit unkonventionelle und gewagte Forschungsvorhaben gefördert werden, bei denen der Erfolg ungewiss ist. „Ein ziemliches Novum in der Forschungslandschaft!“, sagt ein darüber sichtlich erfreuter Schattat. In der aktuellen Förderrunde waren neben seinem Projekt noch zwei weitere Anträge der Universität: ein Projekt in der Bioinformatik und ein weiteres in der Mathematik. Für seine Forschung an den weinenden Pflanzen hat Schattat rund 115.000 Euro erhalten.

Erster Beweis erbracht

Bereits jetzt hat das Team erste Erfolge zu vermelden. Die Forscher konnten den Zellen der Acker-Schmalwand ein Gen hinzufügen, dass aus Quallen kommt, aber auch aus Korallen und Seeanemonen bekannt ist. Es sorgt dafür, dass spezielle, rot leuchtende Proteine gebildet werden. Als die Guttationsflüssigkeit der veränderten Acker-Schmalwand rot schimmerte, war der erste Beweis dafür erbracht, dass die Idee der halleschen Forscher grundsätzlich funktioniert. Ein nächster Versuch ist geplant: Die Pflanzen sollen ein Protein produzieren, das zur Diagnose von Tuberkulose genutzt wird. Mit Schnelltests, die die Firma Milenia Biotec zur Verfügung stellt, können die Forscher den Erfolg ihrer Produktion dann direkt überprüfen.

Die Acker-Schmalwand ist ein sehr dankbares Versuchsobjekt, denn ihr Erbgut ist nicht sehr komplex und sehr gut erforscht. Sie produziert jedoch keine relevanten Mengen an Guttationsflüssigkeit, wächst nur sehr langsam und ist klein. Die Mairübchen hingegen produzieren schon größere Mengen, innerhalb mehrerer Tage sind es etwa fünf Milliliter pro Pflanze. Doch die Forscher suchen weiter nach ertragreichen Pflanzen, deren Erbgut sich gut verändern lässt und die möglichst häufig und viel Guttation betreiben. Im Gewächshaus stehen beispielsweise Taro-Pflanzen, die bis zu 100 Milliliter pro Blatt erzeugen können, sowie eine Senfpflanze, die Schattat von einem Forscher in Wisconsin zugesandt bekommen hat. Letztere ist besonders vorteilhaft, weil sie sich selbst bestäubt. Ein zur Proteinproduktion präparierter Senf ließe sich damit schnell und erfolgssicher vermehren.

Nachhaltig und wirtschaftlich

Die "Tränen" eines Mairübchens werden gewonnen.
Die "Tränen" eines Mairübchens werden gewonnen. (Foto: Martin Schattat)

Wenn das Vorhaben funktioniert, kann es die Herstellung von Proteinen signifikant vereinfachen. Die klassische Proteingewinnung greift zwar ebenfalls auf Pflanzen zurück, diese müssen dabei allerdings zerkleinert und mehrfach in weiteren Schritten behandelt werden, um die gewünschten von den ungewünschten Stoffen zu trennen. Ein aufwendiger und teurer Prozess, der noch dazu am Ende die Pflanze auf dem Gewissen hat. Bei Martin Schattat hingegen bleiben die Pflanzen am Leben. Damit wäre, wenn sich das Verfahren industriell umsetzen lässt, eine ständige Produktion der gewünschten Proteine möglich.

Auch die Kosten sind gering. „Für Pflanzen benötigt man Erde, Wasser und Licht“, fasst Schattat zusammen. Er hofft deshalb darauf, mit den Ergebnissen die Herstellung von Wirkstoffen zu vereinfachen. Insbesondere in Entwicklungsländern, in denen viele Menschen an behandelbaren Krankheiten sterben, könnte das Verfahren für erschwinglichere Arzneimittelpreise sorgen.

Um geeignete Pflanzen zu finden, ist aber auch die Literaturrecherche wichtig. In den 1940er und 1950er Jahren gab es schon einmal umfassendere Forschung zu Guttation. Hier, hofft Schattat, könnten sich Erkenntnisse verbergen, die für das heutige Forschungsprojekt relevant sind. Die Forscher setzen also an verschiedenen Punkten an, um die Guttation zu verstehen, zu verändern und zu verbessern. Damit die Pflanzen am Ende nicht umsonst weinen.

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Kommentare

  • Schliemann am 25.05.2018 11:43

    Bitte nicht Acker-Schmalwand, sondern Ackerschmalwand.

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