Von Corona inspiriert: Neue Seminarthemen an der Uni

27.05.2020 von Ronja Münch in Campus, Studium und Lehre
Die Covid-19-Pandemie verändert die Lehre nicht nur, weil Vorlesungen und Seminare online stattfinden. Sondern auch, weil das Thema sehr spontan in die Lehre einfließt: Am Institut für Politikwissenschaft beispielsweise beschäftigen sich Seminare mit Corona-Verschwörungstheorien und Wahlkreisarbeit in Zeiten der Kontaktbeschränkung.
Verschwörungstheorien haben momentan Hochkonjunktur. Dafür packen einige den Aluhut aus.
Verschwörungstheorien haben momentan Hochkonjunktur. Dafür packen einige den Aluhut aus. (Foto: Flickr/Kai Schwerdt CC BY-NC 2.0)

Für Prof. Dr. Andreas Petrik war der Anlass für ein neues Seminarthema ein Video, das ihm ein Freund schickte. Darin, so Petrik, habe der Arzt und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Wolfgang Wodarg Falschinformationen über die aktuelle Covid-19-Pandemie verbreitet. Sein Freund jedoch habe dessen Thesen verteidigt und zugleich die angebliche „Mainstream-Meinung“ der Politik, Wissenschaft und öffentlichen Medien pauschal abgelehnt, woraus eine heftige Diskussion entstanden sei. „Da habe ich mir gedacht, wenn sogar ein studierter Mensch auf so etwas hereinfällt, muss ich etwas tun“, sagt der Professor für Didaktik der Sozialkunde und politische Bildung. In drei Seminaren thematisiert er deswegen jetzt Verschwörungstheorien.

Auch PD Dr. Sven Siefken warf kurzfristig seine Pläne um. Ursprünglich wollte er mit den Teilnehmern eines Seminars Daten zur Wahlkreisarbeit von Bundestagsabgeordneten neu auswerten, die er vor ein paar Jahren aufgenommen hatte. „Aber dann hatte ich die Idee, eine neue Erhebung zu machen“, so Siefken. Schließlich dürfte sich Corona auch darauf auswirken, wie Politikerinnen und Politiker vor Ort handeln.

Verschwörungstheorien von berechtigter Kritik unterscheiden

Für Andreas Petrik stehen in seinen Seminaren zwei Fragen im Vordergrund: warum bestimmte Bevölkerungsgruppen für Verschwörungstheorien anfällig sind und wie man damit umgehen kann – im privaten wie im Schulkontext. Denn Lehrkräfte werden dort mit dem konfrontiert, was Kinder und Jugendliche aus dem Elternhaus mitbringen. Daher probieren die Studierenden die politikdidaktische Methode Problemstudie aus, bei der ein soziales Problem genau definiert und dann auf Ursachen, Lösungswege sowie gesellschaftliche Konsequenzen untersucht wird.

Petrik identifiziert vier verschiedene Gruppen von Verschwörungstheoretikern, die sich teilweise überschneiden: Rechtsextreme, die häufig eine jüdische Weltverschwörung oder Holocaust-verharmlosende Vergleiche bemühen; Linksextreme, die hinter der Corona-Pandemie eine kapitalistische Strategie zur Vertuschung der Finanzkrise vermuten; Religiös-Esoterische, die den Virus als etwas Natürlich-Gottgegebenes, als Prüfung und Strafe höherer Mächte ansehen oder wahlweise auch das neue Mobildatennetz 5G dafür verantwortlich machen. Und nicht zuletzt „Experten“, die meinen, alles besser zu wissen – zu ihnen zählt Petrik etwa Wodarg und seine Anhänger. Eines eine sie alle: „Verschwörungstheoretiker gehen davon aus, dass alles ein großer Klumpen ist – Politik, Wissenschaft, Medien“, so Petrik. „Aus politikwissenschaftlicher Sicht lässt sich dieser Gleichschaltungsmythos vielfältig widerlegen.“

Die eigentliche Frage sei jedoch, wie insbesondere Lehramtsstudierende didaktisch mit der Thematik umgehen können. Im Seminar sollen sie Lehrvideos, aber auch Podcasts oder vertonte Präsentationen für den Einsatz im Unterricht erstellen, die Verschwörungstheorien vorstellen, hinterfragen und Lösungsstrategien entwickeln. „Es geht darum, an Schulen die Fähigkeit zu vermitteln, zwischen Verschwörungstheorien und berechtigter Kritik zu unterscheiden“, so Petrik. Die im Seminar entstandenen Formate werden anschließend nach inhaltlichen und didaktischen Gesichtspunkten ausgewertet und außerdem in mehreren Schulen in Sachsen-Anhalt getestet. Die Erkenntnisse, wie sich Verschwörungstheorien in Schulen didaktisch sinnvoll bearbeiten lassen, sollen im Anschluss auch in der Fachzeitschrift „Gesellschaft. Wirtschaft. Politik“ publiziert werden.

Online hat auch Vorteile

Sven Siefken hat indes nicht nur sein Seminarthema geändert, sondern auch das Interviewformat: Statt wie üblich persönlich oder per Telefon finden die Interviews per Videokonferenz statt. Je zwei Studierende befragen anhand eines im Seminar gemeinsam entwickelten Leitfadens einen Bundestagsabgeordneten zu Themen wie Informationsflüssen zwischen Wählern und Politikern, zur Einschätzung der eigenen Rolle bei der Krisenbewältigung und der des Parlaments. Das Ziel sei, etwa 30 Abgeordnete aus allen Parteien und verschiedenen Bundesländern zu befragen, so Siefken. „Das soll eine repräsentative Auswahl sein.“ 50 Politikerinnen und Politiker seien bislang angefragt worden, bisher habe es etwa gleich viele Absagen wie Zusagen gegeben. Zwei Politiker, die für Halle im Bundestag sitzen, wurden bereits befragt: Dr. Karamba Diaby (SPD) und Christoph Bernstiel (CDU).

Eine Idee, wie sich die Arbeit der Politikerinnen und Politiker verändert haben könnte, hat Siefken bereits. Er gehe davon aus, dass es in der aktuellen Krise häufiger als sonst darum gehe, Bürgerinnen und Bürgern Informationen zu vermitteln und politische Entscheidungen zu erklären, so Siefken. Die ersten Gespräche würden diese Vermutung bestätigen. Seine letzte Erhebung habe noch ergeben, dass der Informationsfluss häufiger in umgekehrter Richtung läuft, dass also Politiker versuchen zu erfahren, welche Themen ihre Wähler aktuell beschäftigen.

Das Format Videokonferenz hat dabei durchaus Vorteile: Das ganze Seminar kann live dabei sein und die Gespräche können aufgezeichnet werden. Das eröffnet neue Möglichkeiten für die Auswertung der Daten sowie das Training der Interviewer. Zwar sei eine Videoaufzeichnung auch bei persönlichen Gesprächen möglich, da wirke eine Kamera im Raum allerdings eher irritierend. Aus den bereits geführten Interviews wählt Siefken kurze Sequenzen aus, um den Studierenden Feedback zu geben und denjenigen, die die Interviews noch vor sich haben, Tipps. Möglicherweise eigne sich die Videokonferenz auch dauerhaft als neues Format, das will der Politikwissenschaftler anschließend methodisch untersuchen. Durch die Kontaktbeschränkungen hätten sich in den vergangenen Wochen alle an diese Kommunikationsform gewöhnt, während vorher – so vermutet Siefken – kaum jemand dazu bereit gewesen wäre.

 

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