Geldpolitik in den USA der 70er Jahre: Weniger ist mehr?

20.11.2015 von Tom Leonhardt in Forschung, Wissenschaft
Unter Wirtschaftsforschern gelten die 1960er und 70er Jahre in den USA als Beispiel für schlechte Geldpolitik. Die Zentralbank hätte zu wenig auf die Inflation reagiert, die Zinsen zu schwach angepasst und damit der US-Wirtschaft geschadet. Der hallesche Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Kriwoluzky hat sich in einer aktuellen Studie die Zahlen von damals näher angeschaut und erklärt im Interview, warum das zu kurz gedacht ist.
Geld hatte in den USA in den 1960er und 70er Jahren eine andere Bedeutung als heute.
Geld hatte in den USA in den 1960er und 70er Jahren eine andere Bedeutung als heute. (Foto: Pictures of Money, CC 2.0 BY via Flickr)

Was haben Sie in Ihrer Forschung genau herausgefunden?

Alexander Kriwoluzky: In der bisherigen Literatur wurde die Geldpolitik in den 1970er Jahren in Amerika immer als eine Politik eingestuft, die zu schwach auf Inflation reagiert hat. In unserem Modell zeigen wir, dass wenn der Besitz von Bargeld eine wichtige Rolle spielt, die Zentralbank genauso schwach auf die Inflation reagieren muss. Dadurch lassen sich die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte in den USA viel besser erklären. Und so kommt man zu dem Schluss, dass die Geldpolitik damals im Gegensatz zur gängigen Lehre gar nicht so schlecht war und im Gegenteil sogar zur Stabilisierung der Wirtschaft beigetragen hat.

In Ihrem Paper kommen Sie zu dem Schluss: Geld und Konsum müssen zusammen betrachtet werden. Das klingt eigentlich nicht neu …

In Standardmodellen der Ökonomik seit 1980 spielt Geld an sich keine zentrale Rolle. Stattdessen werden Geld und Konsum getrennt voneinander modelliert – Faktoren wie Zinsen, die Inflationsrate oder das Bruttosozialprodukt eines Landes stehen im Vordergrund. Wir haben für speziell die Zeit der 1960er und 1970er Jahre ein Modell für die USA entwickelt, das Geld und Konsum gemeinsam erklären kann.

Alexander Kriwoluzky
Alexander Kriwoluzky (Foto: Markus Scholz)

Was haben Sie genau erforscht?

Wir haben uns speziell Daten aus den USA von 1960 bis 2008 angeschaut: Das Bruttosozialprodukt, Inflationsraten, Zinsen, Löhne und auch so genannte Geldmengenaggregate, dazu zählt unter anderem auch, wie viel Bargeld im Umlauf ist.

Welche Rolle hat Bargeld damals gespielt?

In der Vergangenheit war es relativ teuer und aufwendig, Geld von einem Konto abzuheben oder auf ein anderes Konto zu überweisen. Außerdem war die Abdeckung mit Bankfilialen in den USA noch nicht auf dem heutigen Stand. Man hat viel mehr geplant, wie viel Geld man für einen gewissen Zeitraum benötigt. Damals konnte man den Besitz von Geld und Konsum nicht getrennt voneinander betrachten – wenn man etwas kaufen wollte, musste das Geld vorher da sein.

Ist das heute anders?

Ja. Heute ist Geld viel einfacher und günstiger zugänglich. Die Transaktionskosten, die Sie zum Beispiel beim Geldabheben oder einer Überweisung tragen müssen, sind im Vergleich deutlich gesunken. Es gibt fast überall Geldautomaten. Durch Online-Banking können Sie Geld innerhalb von Sekunden zum Beispiel von ihrem Girokonto auf ihr Tagesgeldkonto überweisen und anlegen.

Können wir die Ergebnisse auf die Gegenwart anwenden?

Das geht leider nicht so einfach – unsere Arbeit war eine rein historische Studie. Seit 1980 haben sich viele Faktoren geändert. Zum Beispiel können die Transaktionskosten kaum noch weiter sinken. Aktuellere Daten lassen sich auch besser mit den Modellen erklären, in denen Geld keine so zentrale Rolle mehr spielt. Deswegen müssen heute Zentralbanken auch viel stärker auf die Inflation reagieren – Zinsen spielen eine größere Rolle. Unser Paper ist eine Lehre, dass man Modelle nicht per se auf alle Epochen der Geschichte anwenden darf. Wir müssen eben auch die jeweiligen Besonderheiten in Betracht ziehen, wenn wir bestimmte politische Entscheidungen beurteilen wollen.

Zur Publikation:

Kriwoluzky, A. and Stoltenberg, C. A. (2015), Monetary Policy and the Transaction Role of Money in the US. The Economic Journal, 125: 1452–1473. doi: 10.1111/ecoj.12151

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