Das Vermächtnis ihres Vaters

10.10.2018 von Katrin Löwe in Personalia, Wissenschaft, Forschung
Vor mehr als 30 Jahren hat die Liebe sie nach Halle geführt. Heute ist Dr. Armenuhi Drost-Abgarjan Professorin für Armenologie und kämpft für die Nachhaltigkeit ihres Faches. Seit einigen Jahren leitet sie zudem die Mesrop-Arbeitsstelle für armenische Studien, die am 18. Oktober ihr 20-jähriges Bestehen feiert.
Armenuhi Drost-Abgarjan am Kreuzsstein, der in Halle seit 2015 an den Völkermord an den Armeniern erinnert
Armenuhi Drost-Abgarjan am Kreuzsstein, der in Halle seit 2015 an den Völkermord an den Armeniern erinnert (Foto: Markus Scholz)

Ihr Vater hat einmal gesagt: Ich habe dich nicht zufällig Armenuhi genannt. Armenuhi, die Armenierin. Trägerin einer alten, einer würdigen Kultur. „Das war ein Vermächtnis, das mich begleitete“, sagt Armenuhi Drost-Abgarjan. Heute ist die in Jerewan geborene Wissenschaftlerin Professorin für Armenologie an der Universität Halle und Direktorin der vor 20 Jahren an der Uni gegründeten Mesrop-Arbeitsstelle für armenische Studien, an der deutsche und armenische Forscher interdisziplinär zu armenischer Sprache, Kultur und Geschichte arbeiten. Beides – Professur und Arbeitsstelle – ist einzigartig in Deutschland.

In ihrem Büro, umgeben von tausenden Büchern, erzählt die Forscherin von ihrem Werdegang, der auch mit familiärer Prägung zu tun hat. Ihr Vater war Mitbegründer des Instituts für alte Handschriften in Jerewan, „Matenadaran“, zu dem die berühmte Handschriftensammlung gehört. Es lag auf dem Heimweg von der Schule. Nach dem frühen Tod der Mutter hat Drost-Abgarjan viel Zeit dort verbracht. „Ich bin aufgewachsen in dieser Atmosphäre der alten armenischen Kultur, die ein unverzichtbarer Teil der Weltkultur ist. Sie hat mich immer fasziniert“, sagt sie. Also studierte sie armenische Philologie, arbeitete an der Akademie der Wissenschaften, wurde Mitte der 1980er Jahre in Moskau und Tbilissi in Klassischer Philologie und Byzantinistik promoviert.

1985 kam Drost-Abgarjan nach Halle. Zehn Jahre zuvor war sie hier schon als Mitglied einer Studentenbrigade, die beim Aufbau von Halle-Neustadt half. Dabei lernte die Armenierin nicht nur ihren späteren Ehemann kennen, sie mochte auch die Stadt mit ihrer mehr als 1.000-jährigen Geschichte. Bereut habe sie den Schritt nach Halle nie, sagt sie. Nach ihrer Habilitation im Jahr 2003 erhielt Drost-Abgarjan 2010 eine vom Deutschen Akademischen Austauschdienst finanzierte Gastprofessur für Armenologie, heute ist sie außerplanmäßige Professorin am Orientalischen Institut. „Ich hatte beruflich Glück, mit wirklich exzellenten Wissenschaftlern arbeiten zu dürfen“, sagt sie – mit Prof. Dr. Sergej Averintsev in Moskau, dem früheren halleschen Seminarleiter für Byzantinistik Prof. Dr. Dr. Peter Nagel oder dem 2010 verstorbenen ersten Mesrop-Direktor Prof. Dr. Hermann Goltz zum Beispiel. Seine Nachfolge, betont sie, sei eine große Verantwortung. Mesrop befasst sich nicht nur mit jahrtausendealter Kultur, sondern auch mit dem Völkermord an den Armeniern in jüngerer Geschichte. Die Genozidforschung müsse fortgesetzt werden, sagt Drost-Abgarjan mit Verweis darauf, dass die Türkei den Völkermord vor rund 100 Jahren noch immer leugnet. „Jedes Verbrechen muss benannt und aufgearbeitet werden.“

Festveranstaltung und Wissenschaftskonferenz

Mit einer Festveranstaltung und einer Wissenschaftskonferenz begeht die in Deutschland einzigartige Mesrop-Arbeitsstelle für Armenische Studien an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) am 18. und 19. Oktober ihr 20-jähriges Bestehen. Dazu werden am Donnerstag, 18. Oktober, im Löwengebäude neben Vertretern des Landes Sachsen-Anhalt auch hochrangige Gäste aus Armenien erwartet. Nähere Informationen und das Programm zum Download sind hier zu finden.

Ihr eigenes wissenschaftlich größtes Projekt war die noch mit Goltz begonnene Übersetzung und Erforschung des Hymnariums der Armenischen Apostolischen Kirche, eines 1.000 Seiten umfassenden Gesangbuchs, das vom 5. Jahrhundert an bis heute in Nutzung ist. Die Forscherin spricht von einem Lebenswerk – was nicht heißt, dass sie keine Pläne mehr hat. Aktuell arbeitet sie an einer Aktualisierung des ersten historiographischen Werks des Christentums und einem Wörterbuch des Mittelarmenischen. Auf ihrer Liste steht auch noch ein Lexikon zur armenischen Kultur. Viel Freizeit bleibt der Mutter zweier Söhne da nicht. Die wenige verbringt sie unter anderem mit Sprachen. Drost-Abgarjan beherrscht zehn alte Sprachen, fühlt sich in Armenisch, Russisch und Deutsch zu Hause, kann wissenschaftlich auch in Französisch, Englisch oder Italienisch arbeiten. Nun folgt Portugiesisch: Einer ihrer Söhne hat gerade eine Portugiesin geheiratet.

Ein ganz großer Wunsch führt indes zurück zur Armenologie. Als kleine Fächer auch an der Uni Halle auf der Kippe standen, habe sie „gekämpft wie eine Löwin“, sagt Drost-Abgarjan. Mit Erfolg. Beruhigt ist die 63-jährige Mesrop-Leiterin aber erst, wenn die Armenologie als nachhaltiges Fach in Studium, Lehre und Forschung gestärkt ist – mit einer ordentlichen Professur. „Dann kann ich mich zurücklehnen.“

Prof. Dr. Armenuhi Drost-Abgarjan
Orientalisches Institut
Telefon: +49 345 55-24083
E-Mail: armenuhi.drost@orientphil.uni-halle.de

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