Nach dem Hochwasser 2013: Neues Forschungsvorhaben zu Spontanhelfern

01.06.2023 von Katrin Löwe in Wissenschaft, Forschung
Vor zehn Jahren stieg der Pegel der Saale in Halle auf Rekordwerte. Das Hochwasser 2013 war an der Uni Halle Ausgangspunkt umfangreicher Forschungsarbeiten zu der Frage, wie freiwillige Spontanhelfer im Katastrophenfall besser koordiniert werden können. Das neue Projekt „KatHelfer-PRO“ baut auf diesen Erfahrungen auf. Der Bund fördert es mit 2,4 Millionen Euro.
Im Projekt "KUBAS" wurde bereits ein System für die Nutzung auf dem Smartphone entwickelt. Die Forschungen werden jetzt in KatHelfer-PRO weitergeführt und mit den Ergebnissen anderer Projekte zu einer Gesamtlösung vereinigt.
Im Projekt "KUBAS" wurde bereits ein System für die Nutzung auf dem Smartphone entwickelt. Die Forschungen werden jetzt in KatHelfer-PRO weitergeführt und mit den Ergebnissen anderer Projekte zu einer Gesamtlösung vereinigt. (Foto: Maike Glöckner)

Als am 3. Juni 2013 in Halle der Katastrophenalarm ausgerufen wurde, stand der Pegel der Saale in Halle-Trotha bei 6,90 Meter. Zwei Tage später erreichte er mit 8,10 Metern – sechs Meter über dem Normalwert – seinen Höchststand. Tausende Freiwillige waren beim Sandsackfüllen oder der Stabilisierung von Deichen und der Sicherung von Häusern im Einsatz. Weil sie sich überwiegend selbst über soziale Medien organisierten, waren sie allerdings nicht immer zum richtigen Zeitpunkt genau dort verfügbar, wo sie gebraucht worden wären. Dieses Szenario – überfüllte Einsatzorte auf der einen und verwaiste auf der anderen Seite – war zugleich Ausgangspunkt für ein Forschungsvorhaben an der MLU, das zunächst unter dem Namen „Hands2Help“ lief und dann in ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt namens „KUBAS“ überging. Gemeinsam mit Forschungs- und Anwendungspartnern wie der Stadt Halle und ESRI Deutschland wurde am Lehrstuhl von Wirtschaftsinformatiker Prof. Dr. Stefan Sackmann ein IT-System mit einer Smartphone-App entwickelt, über die sich potentielle Helferinnen und Helfer mit verschiedenen Informationen über sich registrieren konnten: zum Beispiel, wann und wo sie einsetzbar sind, ob sie sich für leichte oder auch körperlich schwere Aufgaben eignen. Im Katastrophenfall sollte so von der Einsatzzentrale aus die passende Zahl der geeigneten Helfer an die richtigen Einsatzorte geschickt werden, um die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung besser mit den Bemühungen der Einsatzkräfte zu verbinden.

Im Ergebnis habe sich gezeigt, dass ein solches System deutliche Mehrwerte für den Bevölkerungsschutz schaffen kann, so Projektmitarbeiter Hans Betke. Das in Kubas für Demonstrationszwecke entwickelte System hatte allerdings noch technische Grenzen, zum Beispiel im Zusammenhang mit einer großen Anzahl von Helfern, sagt er. Das neue Verbundforschungsprojekt „KatHelfer-PRO“ unter Leitung des Unternehmens T-Systems setzt nun auf den Erfahrungen insbesondere von „KUBAS“, aber auch diverser weiterer Forschungsprojekte der vergangenen Jahre in dem Themengebiet auf. Mehr als 30 Partnerorganisationen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Verwaltung, Katastrophenschutz und der Bevölkerung arbeiten darin zusammen, um ein „Best Of“ bestehender Ansätze in eine gemeinsame Lösung mit höherer Praxisreife zu überführen.

Angestrebt werde eine deutschlandweite Lösung, die im Idealfall nicht mehr als eigenständige App arbeitet, so Betke. Stattdessen könnte sie im Hintergrund bereits bestehender und weit verbreiteter Katastrophenschutz-Apps wie KatWarn oder Nina beziehungsweise Lösungen verschiedener Hilfsorganisationen laufen. Anders als „KUBAS“ soll sie zudem nicht nur auf Hochwasserkatastrophen ausgerichtet sein, sondern auch weitere Einsatzmöglichkeiten abbilden – zum Beispiel Aufräumarbeiten nach einem großen Sturm, den Aufbau von Evakuierungszentren bei Waldbränden oder die Unterstützung in der Flüchtlingshilfe. Während der Corona-Pandemie wäre auch die Versorgung von Menschen in Quarantäne ein Einsatzgebiet gewesen. „Es gibt sehr viele Anwendungsfälle, die man da berücksichtigen kann“, sagt Betke. An der MLU werden zudem ein Chatbot, über den Spontanhelfer auf Wunsch auch ganz ohne App und mittels bekannter sozialer Medien vermittelt werden können, sowie eine Übungssimulationen zur Schulung der Einsatzleitung am System weiterentwickelt.

In „KatHelfer-PRO“ geht es allerdings nicht allein um Technik, sondern auch um die Weiterentwicklung geeigneter sozio-organisatorischer Hilfestellungen. „Wir wollen dabei auch zusammenbringen, was es zu dem Thema an Forschungen und Forschungsergebnissen schon gibt“, so Betke. Zum Beispiel zur Frage der Arbeitssicherheit bei den Freiwilligen. Oder dazu, wie Prozesse in Krisenstäben geändert werden müssen, damit Spontanhelfende Berücksichtigung finden. „Sie sind in den Musterprozessen noch immer nicht vorgesehen. Dabei kann man sich heutzutage gar nicht aussuchen, ob man Spontanhelfende einsetzen möchte, sie kommen einfach“, sagt Betke. Auch psychologische Fragestellungen stehen im Fokus: Was passiert, wenn Helferinnen und Helfer selbst von einer Krise betroffen sind? Wie gehen die regulären Einsatzkräfte besser mit Freiwilligen um, denen zwar nicht der gute Wille, aber das Wissen fehlt? Und wie verarbeiten Einsatzkräfte aus Hilfsorganisationen, die jahrelang für den Ernstfall üben, dass plötzlich die Spontanhelfenden im medialen Fokus stehen? Zu Fragen wie diesen sollen Schulungsmaterialien und Handlungsempfehlungen gebündelt werden.

„KatHelfer-PRO“ läuft über zwei Jahre bis Ende 2024. Es wird im Rahmen der Maßnahme „Innovationen im Einsatz – Praxisleuchttürme der zivilen Sicherheit“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

 

Kommentar schreiben

Auf unserer Webseite werden Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung verwendet. Wenn Sie weiter auf diesen Seiten surfen, erklären Sie sich damit einverstanden. Einverstanden