Vom sprechenden Geldstück bis zum illegalen Piratensender

10.04.2024 von Ines Godazgar in Varia
Im März 1924 ging in Leipzig die Mitteldeutsche Rundfunk AG (MIRAG) auf Sendung. Das Datum markiert nicht nur den Beginn des Radios in Mitteldeutschland, sondern auch einer rasanten Entwicklung, die später vor allem für junge Menschen prägend werden sollte. Studierende aus der Abteilung für Medien- und Kommunikationswissenschaft haben sich mit dem Thema in einer Ausstellung befasst: „Die Jugend und das Radio“ wurde gestern im Foyer des MDR-Funkhauses offiziell eröffnet.
Hörbeispiele zogen die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung in ihren Bann.
Hörbeispiele zogen die Besucherinnen und Besucher der Ausstellung in ihren Bann. (Foto: Maike Glöckner)

Hörbeispiele dürfen in einer Ausstellung über das Radio nicht fehlen. Gleich zu Beginn der Vernissage gelang es, die Besucher im Foyer des MDR-Funkhauses in Halle mit O-Tönen in das Thema hineinzuziehen. Zum Beispiel mit einer Sequenz vom „Kleinen Pfennig“. Das sprechende Geldstück stammt aus der Sendung „Butzemannhaus“ und war ab 1972 im DDR-Hörfunk so etwas wie ein Radiostar. Oder mit einem Ausschnitt aus dem Programm des illegalen Piratensenders von Götz Rubisch, der Mitte der 1970er Jahre aus seiner Wohnung in Halle illegal eigene Radio-Sendungen über eine UKW-Frequenz an sein zumeist junges und musikinteressiertes Publikum adressierte.

Diese und viele weitere Hörbeispiele hatten Macher der Ausstellung, allesamt Master-Studierende vom Institut für Musik, Medien- und Sprechwissenschaften, zuvor eigens für die Schau zutage gefördert. Unterstützt und angeleitet von Prof. Dr. Golo Föllmer waren sie im Dezember unter anderem ins Deutsche Rundfunkarchiv nach Potsdam gereist. „Das war die Initialzündung“, sagte Annika Seiferlein, die den Masterstudiengang „Multimedia und Autorschaft“ studiert und anlässlich der Ausstellungseröffnung gemeinsam mit ihrer Kommilitonin Allegra Wendemuth die Moderation des Abends übernommen hatte. Die beiden schilderten anschaulich, wie das Projekt, eine Ausstellung über 100 Jahre Radio in Mitteldeutschland zu konzipieren, nach und nach Gestalt annahm. Sie bedankten sich bei ihren Mentoren, PD Dr. Gerlinde Frey-Vor vom MDR und Prof. Dr. Golo Föllmer, ohne die die Schau nicht möglich gewesen wäre.

Föllmer, Jahrgang 1964, beschrieb in seinem Grußwort eindrücklich, wie er durch das Medium sozialisiert wurde. Als Jugendlicher erlebte er in Süddeutschland den Aufstieg des Jugendradios von SWR 3. Als dort 1972 die Sendung „Pop Shop“ täglich fünf Stunden Hörfunk für ein junges Publikum sendete, sei das nicht weniger als „eine Sensation“ gewesen. Wie für viele andere Jugendliche dieser Generation in ganz Deutschland hat der Hörfunk für Föllmer eine prägende Funktion gehabt. Denn nun konnte man sich seine eigene Musik auf Kassette mitschneiden. Ein Konzept, das damals für junge Menschen in beiden deutschen Staaten wichtig war.

Die Schau nimmt auf darauf Bezug und zeichnet historischen Entwicklungslinien nach. Gefragt wird dabei immer wieder auch, welchen Raum es im Radio für junge Menschen in den verschiedenen Epochen gab. Auf großformatigen Tafeln werden bedeutsame Ereignisse genauer beleuchtet, darunter die Entwicklung des in der DDR legendären Jugendradios DT 64, das später vom MDR übernommen wurde. Prominenter Gast des Abends war übrigens Lutz Schramm, der ab 1986 beim Jugendsender DT 64 tätig war und dort vor allem die unabhängige Musikszene der DDR förderte.

Aber auch einzelnen Genres und ihrer Entwicklung, etwa dem Hörspiel, das fast ebenso alt ist wie der Rundfunk selbst, widmet sich die Schau. Kurios mutet die überlieferte Zuschrift eines Hörers aus dem Jahr 1945 an, in der er fragt „wie lange Sie uns nun eigentlich die reichlich langweiligen Hörspiele noch bringen wollen“. Der Brief des Unzufriedenen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Hörspiel im Rundfunk eine Erfolgsgeschichte hingelegt hat, von der auch viele junge Hörer profitierten, denn Kinderhörspiele gehörten irgendwann zum festen Repertoire der Sendeanstalten in Ost und West.

Die Antworten auf viele Fragen in Bezug auf das Verhältnis von Radio und jungen Menschen finden sich aber auch in Hörbeispielen, die die Studierenden aufgestöbert und aufbereitet haben, darunter der inzwischen legendäre Ausspruch von Walter Ulbricht, mit dem sich der DDR-Staats- und Parteichef 1965 gegen die Musik der Beatles wendete („Ich denke, Genossen, mit der Monotonie des yeah, yeah, yeah und wie das alles heißt, ja, sollte man doch Schluss machen.“). Ulbrichts Abscheu gegen alles Westliche sorgte aufgrund seiner sächsischen Mundart in der DDR nicht nur für viel Gelächter. Er hatte tiefen Einfluss auf den Umgang mit Westmusik in der DDR, der sich auch auf das Radioprogramm auswirkte.

Darüber hinaus dokumentieren historische Exponate in der Ausstellung eindrücklich den Wandel des Rundfunks, denn zu sehen sind eine ganze Reihe technischer Geräte, unter ihnen ein Volksempfänger aus dem Jahr 1933, ein historisches Radio also, über das sich die Nationalsozialisten ideologischen Zugriff auf die Bevölkerung erhofften und das in Anlehnung an den Propagandaminister im Volksmund „Göbbels-Schnauze“ genannt wurde. Das Gerät stammt - wie etliche andere in der Schau - aus dem Privatbesitz von Föllmer, dem es besonders wichtig war, dass sich seine Studierenden einen historischen Überblick verschaffen.

Er verwies auf den „erfahrungspraktischen Ansatz“ in der Ausbildung an seinem Institut. „Um zu begreifen, wie Radio früher funktioniert hat, muss man die Dinge auch mal in den Händen gehabt haben. Deshalb lernen unsere Studierenden auch, wie früher eine Rundfunk-Produktion mit analogen Tonbändern funktioniert hat“, so Föllmer. Und: „Die Ausstellung befasst sich mit dem Wandel“. Das sei kein Selbstzweck, denn: „Vielleicht lässt sich mit dem Blick in die Vergangenheit des Mediums auch eine Idee für die Zukunft finden.“

 

Ausstellung: Die Jugend und das Radio – 100 Jahre mitteldeutsche Radiogeschichte
Mittwoch, 10. April 2024 – Freitag, 3. Mai 2024
täglich 10 bis 18 Uhr
MDR-Funkhaus Halle, Foyer
Gerberstraße 2
06108 Halle (Saale)

 

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