Tierische Partnerwahl: Fruchtfliegen erkennen Sexbilder

23.02.2023 von Matthias Münch in Wissenschaft, Forschung
Fruchtfliegenweibchen finden besonders solche Männchen interessant, die sie zuvor bei der Paarung mit anderen Weibchen beobachtet haben. Als Vorlage genügen sogar einfache 2D-Bilder. Das ist verblüffend und widerspricht bisherigen Annahmen.
Nahaufnahme von den Fruchtfliegen - für den Versuch wurden die Männchen eingefärbt.
Nahaufnahme von den Fruchtfliegen - für den Versuch wurden die Männchen eingefärbt. (Foto: David Duneau, Laboratoire Évolution & Diversité Biologique (EDB), Toulouse)

Kein Fotoband, kein Mode- oder Autokatalog würde uns begeistern, wären wir nicht in der Lage, aus zweidimensionalen Abbildungen auf unsere dreidimensionale Welt zu schließen. Gut erforscht in diesem Zusammenhang sind Fotografien mit sexuellen Darstellungen: Sie beschleunigen unseren Herzschlag und steigern die Schweißproduktion, mit Computertomografen lässt sich nachweisen, dass Hirnareale aktiviert werden, die für sexuelle Erregung zuständig sind. „Die Fähigkeit, subtile Informationen aus 2D-Bildern zu extrahieren, nennen wir funktionelle Generalisierung“, erklärt Dr. Sabine Nöbel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Tierökologie am Institut für Biologie der MLU. „Sie wird unserem hochentwickelten Nervensystem zugeschrieben.“

Sabine Nöbel
Sabine Nöbel (Foto: Carolyne Lamy, Studiotchiz)

Allerdings ist diese Fähigkeit nicht nur uns Menschen vorbehalten. Drosophila melanogaster, besser bekannt als Frucht- oder Essigfliege, kann das auch. Das hat Sabine Nöbel mit einem Team der Universität Toulouse herausgefunden, wo sie vor ihrem kürzlichen Wechsel nach Halle als Research Fellow tätig war. „Wir haben zahlreiche Studien durchgeführt, um soziales Lernen bei Fruchtfliegen zu erforschen“, sagt sie. „Dazu zählt beispielsweise das Kopieren von Sexualpartnern.“ Dieses sogenannte Mate-Copying ist eine Fortpflanzungsstrategie, die nicht nur bei Insekten, sondern auch bei Fischen, Vögeln und Säugetieren verbreitet ist: Naive Weibchen – so werden die unbefruchteten Tiere wissenschaftlich bezeichnet – beobachten kopulierende Artgenossen und entwickeln daraus ihre eigenen Partnerpräferenzen. „Offenbar ist es für sie ein evolutionsbiologischer Vorteil, sich mit Männchen zu paaren, die ihre Potenz bereits unter Beweis gestellt haben“, erklärt Nöbel.

Farbflecken mit Augen und Flügeln

Für die Partnerwahl-Experimente im Toulouser Labor wurden eine weibliche und zwei männliche Fruchtfliegen in einen durchsichtigen Behälter gegeben. In einem abgetrennten Bereich konnte ein naives Weibchen beobachten, mit welchem Männchen sich das andere Weibchen paart und welches es abstößt. Anschließend wurde die „Beobachterin“ mit zwei neuen Männchen zusammengebracht. „Die naiven Weibchen wählen signifikant häufiger jene Männchen, die in wesentlichen phänotypischen Merkmalen dem zuvor beobachteten erfolgreichen Männchen ähneln“, sagt Nöbel. Damit auch die Forschenden diese Beobachtung machen konnten, wurden die männlichen Fliegen mit einem fluoreszierenden Puder gefärbt – das eine grün, das andere rot.

Solche Experimente sind aufwändig. Deshalb kam ein Mitarbeiter des Teams auf eine verrückt klingende Idee: Er wollte herausfinden, ob es für das Mate-Copying ausreicht, dem Weibchen den Kopulationsakt auf Fotografien zu präsentieren. „Ich war davon überzeugt, dass das niemals funktionieren würde“, erzählt Sabine Nöbel. „Eine solche Abstraktionsleistung habe ich einer Fruchtfliege einfach nicht zugetraut.“ Umso erstaunter war das Team vom Ergebnis des Versuchs: Für die Partnerpräferenz spielt es so gut wie keine Rolle, ob das Weibchen eine Live-Demonstration verfolgt oder den Kopulationsakt – nebst abgewiesenem Männchen – auf einer zweidimensionalen Fotografie sieht. Allerdings musste die Fotopräsentation ebenso lange dauern wie eine echte Befruchtung, nämlich 15 bis 25 Minuten. In Kontrollversuchen hatten die Forschenden das Bild nur fünf Minuten lang gezeigt, was keinerlei Einfluss auf die Partnerwahl des Weibchens hatte.

Oben die normalen Fliegenfotos, unten die modifizierten
Oben die normalen Fliegenfotos, unten die modifizierten (Foto: David Villa, ScienceImage CBI CNRS)

Beflügelt von dieser Entdeckung ging das Team noch einen Schritt weiter: Es wollte herausfinden, ob die Abbildungen kopulierender Fliegenpaare zwingend naturgetreu sein müssen – oder ob auch vereinfachte Darstellungen zum Mate-Copying führen. „Wir haben anatomische Details schrittweise durch einfache Farbflächen ersetzt, etwa den mittleren Rumpf des Männchens durch einen grünen beziehungsweise roten Fleck oder den gesamten Körper des Weibchens durch eine Ellipse“, sagt Sabine Nöbel. „In späteren Experimenten haben wir sogar Augen und Flügel weggelassen.“

Auch hier waren die Ergebnisse verblüffend: Solange die Körper sowohl des kopulierenden Paares als auch des abgewiesenen Männchens farblich zu unterscheiden waren, führten selbst grob vereinfachte Bilder zu signifikanten Partnerkopien – wenn auch nicht im selben Maße wie Fotografien. Augen und Flügel hingegen scheinen wichtige anatomische Faktoren zu sein – ließ man nur eines der beiden Körperteile weg, zeigten die naiven Weibchen kein signifikantes Mate-Copying mehr.

Vorbild für weniger invasive Experimente

Mit ihren Versuchen widerlegen die Forschenden zum einen die Theorie, Drosophila melanogaster sei hauptsächlich, wenn nicht sogar ausschließlich auf Pheromone und den Balzgesang der Männchen angewiesen, um Artgenossen zu erkennen. „Wir konnten zeigen, dass das Sehvermögen von Fruchtfliegen deutlich stärker ist als bislang angenommen“, sagt Nöbel. Zum anderen offenbart die Fähigkeit, überlebenswichtige Informationen aus statischen, zum Teil stark degradierten 2D-Bildern zu extrahieren, eine beachtliche kognitive Leistung. Die dürfe man, so Nöbel, aber nicht überbewerten: „Andere Experimente, etwa mit Tierrobotern, deuten darauf hin, dass Fliegengehirne darauf ausgerichtet sein könnten, alles, was ungefähr die Größe und Form einer Fliege hat, als Fliege zu erkennen.“

Dennoch könnten die Erkenntnisse dazu beitragen, Experimente zu sozialem Lernen und Verhalten von Tieren zu vereinfachen. „Wenn es möglich ist, das Sexualverhalten von Fruchtfliegen durch zweidimensionale Illustrationen zu manipulieren, dann liegt die Vermutung nahe, dass das auch bei anderen Tierarten funktioniert“, erklärt Sabine Nöbel. „Außerdem ist es vorstellbar, 2D-Bilder zur Untersuchung von Gruppendynamiken einzusetzen, die nicht sexuell motiviert sind.“ Die Forschenden hoffen darauf, dass die Verwendung von Bilddemonstrationen die Zahl der an Experimenten beteiligten Tiere reduziert und standardisierte Stimuli setzt, die deutlich weniger invasiv sind. An der MLU wird Nöbel die Erforschung des sozialen Verhaltens von Fruchtfliegen fortsetzen.

 

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Biologie

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