Ein Booster für die Bioökonomie

20.06.2025 von Anne Breitsprecher, Tom Leonhardt in Jahrbuch, Wissenschaft, Forschung, Wissenstransfer
In Sachsen-Anhalt treibt das Projektkonsortium „Digitalisierung pflanzlicher Wertschöpfungsketten“ (DiP) die Verbindung von Hightech und pflanzlicher Wertschöpfung voran. Mit Drohnen, Genomforschung, Digitalisierung und nachhaltigen Produktionsmethoden entsteht eine Modellregion für die Zukunft der Bioökonomie.
Mit einer Drohne wird das Wachstum von Pflanzen auf dem MLU-Versuchsfeld in der Julius-Kühn-Straße kontrolliert.
Mit einer Drohne wird das Wachstum von Pflanzen auf dem MLU-Versuchsfeld in der Julius-Kühn-Straße kontrolliert. (Foto: Markus Scholz)

Digitalisierung und Pflanzen – was widersprüchlich klingt, ist in der Agrarwirtschaft und auf dem Feld längst eine untrennbare Kombination. Drohnen, die aus der Luft das Pflanzenwachstum und den Schädlingsbefall von Getreide erkennen und die erfassten digitalen Informationen mit Hilfe von künstlicher Intelligenz modellieren, haben zwar noch Neuigkeitswert, sind jedoch keine Science-Fiction mehr.

In Sachsen-Anhalt sollen innovative Technologien und Methoden in diesem Bereich eine Schlüsselrolle übernehmen. Die Region befindet sich im Strukturwandel vom Kohleabbau hin zu einem modernen und nachhaltigen Wirtschaftsstandort. Dabei sind Ernährung und Landwirtschaft zentrale Standbeine, während die Folgen des Klimawandels eine der großen Herausforderungen der Zeit darstellen. 

Genau hier setzt das DiP-Konsortium an. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert den Verbund in der ersten Förderphase bis 2028 mit bis zu 50 Millionen Euro. Die 19 Verbundprojekte zielen darauf ab, die großen landwirtschaftlichen Potenziale im Mitteldeutschen Revier in Sachsen-Anhalt zu nutzen und durch technologische Innovationen auszubauen. Entstehen soll eine Modellregion der Bioökonomie mit Strahlkraft, die sich durch wissenschaftliche Exzellenz, neue Industrien und attraktive Arbeitsplätze auszeichnet. Koordiniert wird das Vorhaben von der Martin-Luther-Universität. In 14 Verbundprojekte bringt die Universität ihre Expertise als Partnerin oder Koordinatorin ein und erhält dafür rund 18,3 Millionen Euro.

Klaus Pillen
Klaus Pillen (Foto: Sascha Linke)

„Durch die hohe Konzentration an international führenden Pflanzenforschungsinstituten, beispielsweise an unserer Universität, dem Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie oder dem Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, bilden die Pflanzenwissenschaften eine Kernkompetenz in Sachsen-Anhalt. Für DiP haben sich Forschungseinrichtungen und ausgewählte Wirtschaftspartner aus der Region erstmals zu einem Verbund mit über 40 Mitgliedern zusammengeschlossen“, sagt Prof. Dr. Klaus Pillen, Professor für Pflanzenzüchtung an der MLU und Sprecher des DiP-Konsortiums.

Das große Ziel? „Wir wollen die digital-unterstütze Transformation der Wirtschaft in der Modellregion innerhalb der nächsten fünf bis zehn Jahre substanziell vorantreiben“, so Pillen. Unter dem Einsatz digitaler Technologien sollen neue, pflanzenbasierte Wertschöpfungsketten in der Modellregion aufgebaut und bestehende ausgebaut werden. Das DiP-Konzept legt dabei den Fokus auf die Nutzung der vorhandenen Stärken der Region. Neben der pflanzlichen Primärproduktion stehen Pflanzenbioraffinerien und weitere Aufbereitungsverfahren im Fokus. „Etablieren wollen wir insbesondere die Verwertung von pflanzlichen Rest-, Neben- und Wertstoffen als klimaneutralen Ersatz für erdölbasierte oder importierte Produkte. Dazu gehören zum Beispiel Stroh, Obstreste und Agroforstbiomasse“, sagt Pillen.

18 Verbundprojekte haben im Sommer 2024 ihre Arbeit aufgenommen. Thematisch lassen sie sich in drei Bereiche, sogenannte Leuchttürme, einordnen. Im ersten Leuchtturm werden landwirtschaftliche Kulturpflanzen wie Getreide, Zuckerrüben oder Erbsen untersucht. Klimaresiliente Anbausysteme für biobasierte Rohstoffe sind das Kernthema der Projekte des zweiten Leuchtturms. Im dritten Leuchtturm beschäftigen sich weitere Vorhaben mit Sonderkulturen wie Arznei- und Gewürzpflanzen, die in Sachsen-Anhalt etabliert oder weiterentwickelt werden.

Thomas Schmutzer
Thomas Schmutzer (Foto: Sascha Linke)

In jedem Leuchtturm gibt es zudem eine Nachwuchsgruppe, mit der gezielt qualifizierte Postdoktoranden gefördert werden. Sie beschäftigen sich mit Projekten, die Ausgründungspotenzial haben. Eines dieser drei Projekte ist „Diamant“. „Unsere Expertise liegt in der Long-Read-Sequenzierung, die wir mit Hilfe der Bioinformatik nutzen, um die moderne Pflanzenzüchtung zu beschleunigen“, sagt Projektleiter Dr. Thomas Schmutzer von der MLU. Die Technologie bietet in der Genomforschung im Vergleich zu bisherigen Verfahren wesentliche Vorteile in Bezug auf Genauigkeit, Qualität und Vollständigkeit. Sie ermöglicht es, längere DNA- oder RNA-Abschnitte in einem einzigen Durchgang zu lesen. Bislang waren dafür komplexe und langwierige Verfahren nötig. Mit diesem Verfahren lassen sich ganz neue Fragen beantworten, wie Thomas Schmutzer erklärt: „Welcher Genomabschnitt ist dafür verantwortlich, dass eine bestimmte Pflanze widerstandsfähiger gegenüber Trockenheit wird? Das findet man nur heraus, wenn man einen vergleichenden Blick auf viele Pflanzengenome wirft.“

Das Diamant-Team will kostengünstige Methoden entwickeln, mit denen man im Hochdurchsatz das Erbgut zahlreicher Pflanzen charakterisieren und digitalisieren kann. „Wir wollen Genome entschlüsseln, um die Kultivierung von Kulturarten wie Weizen, aber auch von Sonderkulturen, zu unterstützen. Gerade bei Letzteren gibt es noch viele Wissenslücken“, so Schmutzer. Profitieren könnten am Ende etwa Züchtungsbetriebe oder einer der vielen DiP-Wirtschaftspartner aus Anbau und Verwertung.

Um den Transfer in die Wirtschaft voranzutreiben, kooperiert der DiP-Verbund mit dem Technologie- und Gründerzentrum Halle (TGZ). Das TGZ unterstützt die Projekte bei der Entwicklung von innovativen Technologien, Produkten oder Dienstleistungen sowie der Überführung der Ergebnisse in konkrete Geschäftsmodelle. Dazu gehören Themen wie Patente und mögliche Folgeförderungen genauso wie Lizenzierungen neu entwickelter Technologien. 
Für zunächst fünf Jahre werden die Verbundpartner mit Unterstützung durch die DiP-Koordinierungsstelle Hand in Hand an ihren individuellen Ideen forschen, um die Potenziale zur Weiterentwicklung der Agrarwirtschaft im südlichen Sachsen-Anhalt zu erschließen, die sich aus der Verbindung von pflanzlichen Wertschöpfungsketten, Digitalisierung und Nachhaltigkeit ergeben. Im Herbst 2024 ist zudem unter Leitung des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) ein Projekt zur Begleitforschung gestartet, das ein Nachhaltigkeits-Monitoring etablieren soll.

An der notwendigen Motivation und Begeisterung für die Umsetzung ihrer Ideen mangelt es den Beteiligten nicht. Thomas Schmutzer: „DiP ist ein beeindruckendes Konstrukt geworden, in dem viel geballte Expertise in verschiedene Verbünde eingebracht wird. Diese Projekte ergänzen sich wunderbar. Das ist ein großer Reiz und eine große Stärke des gesamten DiP-Konsortiums.“

Die Ziele für die erste Förderphase sind ambitioniert: Im Jahr 2028, und damit deutlich vor dem Ende der Kohleverstromung in 2038, plant der Verbund, konkrete Ergebnisse aus den Projekten vorzustellen, die bis zur Marktreife gebracht werden sollen. Das südliche Sachsen-Anhalt wird damit zur Modellregion für eine digitalisierte, wettbewerbsfähige und klimaneutrale pflanzliche Bioökonomie. Diese soll sich durch wissenschaftliche Exzellenz, innovative Industrien und attraktive Arbeitsplätze auszeichnen und so Impulse für eine langfristige Entwicklung der Region bieten. In einer zweiten Förderphase sollen bis 2032 erfolgreiche Verbundprojekte weiterentwickelt und weitere Ideen umgesetzt werden.

Weitere Informationen unter: https://www.dip-sachsen-anhalt.de/

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Agrarwissenschaften

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