Design trifft Wissenschaft

03.04.2014 von Corinna Bertz in Forschung, Im Fokus, Wissenschaft
Da hat man erfolgreich ein Kristallisationsverfahren entwickelt und perfektioniert. Oder trägt einen reichen Erfahrungs- und Wissensschatz über Biomineralien mit sich herum. Patente wurden angemeldet, Industriepartner gefunden. Aber ist damit das gesamte Potenzial der entwickelten Technik oder des neuen Materials schon ausgeschöpft? Fehlt vielleicht nur eine zündende Idee, um ganz neue Anwendungsgebiete zu erschließen? Um das herauszufinden, arbeiten Forscher an der MLU immer häufiger mit kreativen „Fachfremden“ zusammen.
Wellnessgetränke oder Motorradjacke? Karl-Ludwig Kunze und Bernhard Schipper mit einer Kombucha-Kultur. Mehr zum Projekt: www.scobytec.de
Wellnessgetränke oder Motorradjacke? Karl-Ludwig Kunze und Bernhard Schipper mit einer Kombucha-Kultur. Mehr zum Projekt: www.scobytec.de (Foto: Maike Glöckner)

Wenn Wissenschaftler auf Designer treffen, passiert im günstigsten Fall das, was Verfahrenstechnikerin Dr. Sandra Petersen beschreibt: „Die Zusammenarbeit mit den Burg-Studierenden hat uns nochmal die Augen geöffnet. Wir richten uns bei der Suche nach Anwendungen für ein Verfahren sonst eher nach den Produkten, die es schon gibt, und versuchen, diese zu optimieren. Die Design-Studentinnen haben uns dagegen ganz neuen Richtungen gezeigt, in die wir noch gehen könnten.“

Burg-Studentin Anja Eilert mit Kristallzüchtung beim "Grow"-Workshop.
Burg-Studentin Anja Eilert mit Kristallzüchtung beim "Grow"-Workshop. (Foto: Maike Glöckner)

Im Jahr 2013 hat sie ein gemeinsames Projekt zwischen dem Lehrstuhl für Thermische Verfahrenstechnik an der MLU und dem Studiengang Industriedesign der Burg koordiniert. Die Forscher um Professor Joachim Ulrich luden Frithjof Meinel, Professor für Industriedesign, und seine Studierenden zu sich ein. Die Ingenieure erklärten und demonstrierten das selbstentwickelte pharmatechnische Kristallisationsverfahren, bei dem pulverartige Materialien portioniert und mit einem zweiten Material beschichtet werden können.

Es wurde in erster Linie für eine verbesserte Tablettenproduktion in der Pharmazie entwickelt. In kleinen Teams sollten die Burg-Studierenden innerhalb von zwei Wochen neue, designorientierte Anwendungen für das Verfahren entwerfen. „Das hat uns erstmal überfordert“, erinnert sich Veronika Schneider, die heute im vierten Semester Industriedesign studiert. Eine sehr anstrengende Woche sei das gewesen. „Am Ende hatten wir das Gefühl, dass nicht allzu viel Brauchbares dabei herausgekommen ist.“

Aber die Uni-Wissenschaftler zeigten sich bei der Abschlusspräsentation von der Vielfalt der Ideen beeindruckt. Unkonventionelle Einfälle waren dabei, die eine ganze Reihe von neuen Einsatzmöglichkeiten erlaubten: Zum Beispiel „Quickflick“ – ein Fahrradflickset in Pillengröße – oder die Idee, medizinische Wirkstoffe tropfenförmig in Textilien einzuweben. Egal ob als Pflaster oder Zeckenhalsband für Tiere – „In diesem Ansatz steckt Potenzial, weil er eine sehr große Bandbreite von Anwendungsmöglichkeiten zulässt“, so Projektleiter Frithjof Meinel.

Ob die unterschiedlichen Entwürfe sich dann tatsächlich umsetzen lassen, können oft nur die Wissenschaftler abschätzen. „Sicherlich haben wir das Verfahren dahinter nicht zu hundert Prozent durchschaut“, sagt auch Professor Meinel. „Aber wir haben das Wesen des Prozesses verstanden. Gestalter sind es gewöhnt, sich in Unbekanntes hineinzudenken. Die Dinge soweit herunter zu brechen, dass man sie sinnlich wahrnehmen kann – das ist unsere Kernkompetenz.“

In der Praxis treffen „Augenmenschen“, wie Meinel die Designer nennt, auf Ingenieure oder Naturwissenschaftler, um im Dialog gemeinsam an den Ideen weiter zu arbeiten. „Design hat keine eigene Fachsprache, aber wir vermitteln unseren Studierenden Anschlusswissen, so dass sie mit Schlüsselbegriffen aus der Technik oder aus den Werkstoffwissenschaften arbeiten können.“

Noch lieber als darüber diskutiert, wird aber selbst ausprobiert. Zum Beispiel: Was kann ein Material, und was kann es nicht? Wie kann ich es biegsamer, dicker oder dünner machen? All das konnten angehende Chemiker gemeinsam mit Burg-Studenten Ende Februar im ersten „Grow“-Workshop mit dem Titel „Zukunftsmaterialien erkunden“ am Institut für Chemie testen.

Aart van Bezooyen, Professor für Material- und Technologievermittlung an der Burg, und MLU-Chemiker Dr. Filipe Natalio haben „Grow“ Anfang 2014 ins Leben gerufen. Es soll als Plattform für den Austausch zwischen Kunst und Wissenschaft dienen – mit einem gemeinsamen Ziel: „Aart und ich interessieren uns für die Entwicklung neuer und nachhaltiger Materialien. Wir haben beide das Anliegen, deren Einfluss und Einsatz zukünftig zu erhöhen“, erklärt Natalio. Das Projekt wird vom Bund im Rahmen des „Qualitätspakts Lehre“ finanziell gefördert. Geplant sind neben Workshops auch offene Diskussionen, Vorträge und Präsentationen an beiden Standorten.

Muscheln, Öl und Bienenwachs

Die 28 Teilnehmer nahmen das Workshop-Thema „Zukunftsmaterialien erkunden“ wörtlich: Im Chemie-Labor wurden Kristalle und Kombucha-Kulturen gezüchtet, Muscheln gefeilt und eingefärbt, Bienenwachs wurde mit Öl gemischt und erhitzt. „Wenn wir das Material besser kennen und wissen, wie es sich unter bestimmten Bedingungen verhält, können wir es auch gezielter einsetzen“, sagt Veronika Schneider. Besonders interessant sind dabei oft die Dinge, denen Forscher weniger Beachtung schenken: Abfälle oder „Unfälle“ – Nebenprodukte, die beim wissenschaftlichen Arbeiten eher zufällig entstehen.

Wenn es irgendwo schäumt oder überkocht, könnte das den Anstoß für einen ganz neuen Werkstoffentwicklungsprozess geben. „Im Industriedesign interessieren uns diese Prozesse sehr. Wir wollen möglichst frühzeitig auf sie Einfluss nehmen, um das ganze Potenzial eines Verfahrens auszuschöpfen. Ist die Konzeptphase schon abgeschlossen, können wir nicht mehr viel verändern“, erklärt Frithjof Meinel. Gibt man zum Beispiel ein wenig Zucker und eine Nährlösung zum Kombucha und lässt ihn ein paar Tage offen stehen, so bildet er eine dicke Zelluloseschicht.

„Wenn man die Zellulose mit Lederöl behandelt und dann einbügelt, entsteht eine lederartige Struktur, die sehr reiß- und wasserfest ist“, erklärt Bernhard Schipper, der seit Januar 2014 gemeinsam mit Karl-Ludwig Kunze, Carolin Wendel und Filipe Natalio an einer Testkultur experimentiert. „Ziel ist es, diesen Stoff einmal biologisch programmierbar zu machen, indem wir Nanoteilchen aus Metalloxiden dazu geben.“ Eine erste leitfähige Motorradjacke, die über LED die Stimmung des Fahrers wiedergeben kann, wurde bereits entwickelt. Dass diese aus einem natürlichen, nachwachsenden Rohstoff besteht, ist ganz im Sinn der Gründer von Grow.

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Filipe Natalio

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