Neues aus der Urzeit

29.01.2015 von Corinna Bertz in Forschung, Im Fokus, Wissenschaft
Ist ein Fossil aus dem Geiseltal der erste Beleg für die Brutpflege in der Ordnung der Krokodile? Wie konnten sich fünf verschiedene Krokodilarten einmal einen gemeinsamen Lebensraum teilen? Die Geiseltal-Funde aus dem Eozän bergen noch immer viele Rätsel, die Forscher aus aller Welt anziehen. So auch Alexander Hastings: Wer mit dem Paläontologen über seine Arbeit spricht, versteht schnell, warum es ihn von Florida ausgerechnet nach Halle verschlagen hat.
Vermessen, mikroskopieren, dokumentieren: Alexander Hastings in seinem Arbeitsraum in der Neuen Residenz.
Vermessen, mikroskopieren, dokumentieren: Alexander Hastings in seinem Arbeitsraum in der Neuen Residenz. (Foto: Markus Scholz)

Dr. Alexander Hastings steigt in seinem Arbeitsraum auf eine kleine Leiter, öffnet den alten, zwei Meter hohen Schrank und zieht vorsichtig eine lange, rechteckige Platte hervor. Was zum Vorschein kommt, sieht für den Laien aus wie ein Haufen an- und aufeinandergereihter kleiner Knochen und anderer tierischer Überreste. Wer genauer hinschaut, erkennt die Umrisse eines Tieres: Ein kleines Krokodil, in Paraffinwachs konserviert und mit der Kennnummer GMH 6074 versehen. Vor 45 Millionen Jahren hat es einmal im 20 Kilometer von Halle entfernten Geiseltal gelebt. Heute bedecken ein See und viele Bodenschichten die Fundstelle.

Fünf Eier hatte das Krokodilweibchen gelegt. Doch bevor die Brut schlüpfen konnte, kam der Tod. Zusammen mit den Eiern versank das Tier im subtropischen Urwald-Sumpf und verhärtete. 1932 wurde es dann von Geologen im Braunkohlerevier des Geiseltals ausgegraben. Warum das Reptil starb, dafür kann Hastings verschiedene Erklärungsansätze liefern. Noch brennender hat den 31-Jährigen jedoch interessiert, ob es sich bei diesem Fund tatsächlich um ein Krokodil bei der Brutpflege handelt. Die ungewöhnliche Stellung des Tieres – zusammengekrümmt neben den Eiern – sei ein starkes Indiz, so Hastings. Selbst im Angesicht des Todes hat das Tier anscheinend noch über seine Eier gewacht.

Wann Krokodile damit begonnen haben, sich nach der Eiablage um ihren Nachwuchs zu kümmern, ist noch Gegenstand der Forschung. Das Geiseltal-Fossil könnte hier eine Wissenslücke schließen. „Bislang ist noch kein Krokodil aus dem Eozän dokumentiert, das seine Brut pflegte. Dieser Fund ist der erste und einzige Beleg dafür“, sagt der Reptilienexperte. Für Entdeckungen wie diese ist er nach Halle gekommen.

„Ich wollte in Europa forschen, denn hier hat die Paläontologie ihren Ursprung“, erklärt Hastings. Und am Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen (ZNS), zu dem auch die Geiseltal-Sammlung gehört, suchte man gezielt nach internationaler Expertise. Ein Reptilienkenner sollte es sein, bevorzugt aus einem der Länder, in denen Paläontologen heute mit modernsten Methoden arbeiten.

„Wir wünschen uns vermehrt international publizierte Fachartikel zu Themen des eozänen Geiseltals“, sagt Dr. Frank Steinheimer, Leiter des ZNS. Alexander Hastings konnte all diese Wunschkriterien erfüllen. Der Postdoktorand, den Dinosaurier schon als Kind faszinierten, ist auf Fossilien des Eozäns spezialisiert. Als Mitentdecker und Erstbeschreiber einer Riesenboa und einer bis dahin unbekannten Krokodilart hat er in der Fachwelt unter anderem mit Veröffentlichungen in „Nature“ für Aufsehen gesorgt.

Als Stipendiat der Kulturstiftung des Bundes konnte er im Juni 2013 zunächst für anderthalb Jahre nach Halle geholt werden. Dank einer Nachfolgeförderung ließ sich sein Aufenthalt um sechs Monate verlängern. Im Dezember 2014 hat er zusätzlich 200.000 Euro der Volkswagenstiftung erhalten, um im Rahmen der Initiative „Forschung in Museen“ weitere Geiseltalfunde untersuchen, beschreiben und katalogisieren zu können.

In den USA hatte der Postdoktorand zuletzt am Florida Museum of Natural History geforscht und an Ausstellungen für ein großes Publikum mitgewirkt. Der Gegensatz zu seinem Arbeitsplatz in der Neuen Residenz, erbaut im Jahr 1531, könnte kaum größer sein. Seit das Geiseltalmuseum dort im Jahr 2011 seine Pforten schloss, sind Exponate wie Krokodile oder Urpferdchen nur noch zu besonderen Anlässen wie zur Langen Nacht der Wissenschaften zu sehen.

Forschern sind die Funde zwar weiterhin zugänglich, dauerhaft aber arbeiten nur Hastings, Fachpräparator Michael Stache und Dr. Meinolf Hellmund, Kustos der Geiseltalsammlung, noch in den Museums-Räumen. Ein erster Teil der geschätzten 50.000 Fossilien soll in wenigen Monaten, sorgfältig verpackt, zur Zoologischen Sammlung in das ZNS-Magazin am Domplatz 4 umziehen. Hier können die Sammlungsstücke fachgerecht und sicher gelagert werden.

Hastings vergleicht die Sammlung gern mit einem schlafenden Dornröschen, das noch immer vor sich hin schlummert. Ihr Wert ist fraglos groß: Hunderte neue Tier- und Pflanzenarten, darunter auch das berühmte Urpferdchen, wurden im Geiseltal entdeckt. Ein ganzes Säugetier-Zeitalter ist nach diesen Funden benannt. Das Geiseltalium im Mittleren Eozän, vor 48 bis 40 Millionen Jahren, ist Paläontologen in aller Welt ein Begriff.

Als Geologen der Universität das Krokodil, das Hastings jetzt beschäftigt, ausgruben, erkannten sie bereits, dass es sich dabei um ein Reptil mit Eiern handelte. Die Tragweite ihrer Entdeckung jedoch erkannten sie nicht. „Damals begnügte man sich mit der reinen Beschreibung“, sagt Frank Steinheimer. Sehr genau sei dokumentiert worden, wo und in welchem Zustand man die Fossilien fand. Heute wollen es Paläontologen aber genauer wissen, erklärt Hastings: „Wir wollen die Funde in ihrem Kontext betrachten.

Wie war das Ökosystem beschaffen, in dem das Tier damals gelebt hat? Wie und wovon hat es sich ernährt und was hat zu seinem Tod geführt?“ Die Geiseltalsammlung eigne sich besonders gut zur Erforschung der Ökologie des Eozäns. Die Funde, die allesamt in Halle lagern, bilden eine Zeitspanne von mehreren Millionen Jahren ab, sodass Veränderungen innerhalb des Ökosystems nachvollzogen werden können. „Eine so gut erhaltene, vollständige Sammlung aus dem Eozän ist einmalig“, sagt Hastings mit der Begeisterung des Fachmanns, der nichts lieber tut, als in akribischer Feinarbeit urzeitliche Knochen zu analysieren.

Als Student, Doktorand und Dozent hat der 31-Jährige an Universitäten in Florida, Georgia und Pennsylvania Methodenwissen gesammelt, das er jetzt in Halle anwendet. An seinem Arbeitsplatz misst, dokumentiert und digitalisiert Hastings alle Daten, die sein Untersuchungsgegenstand preisgibt. Zum ersten Mal werden dank Hastings in Zusammenarbeit mit dem Fachpräparator Michael Stache Geiseltal-Fossilien in dreidimensionalen Computergrafiken visualisiert. So lässt sich ihre Form und Beschaffenheit sehr genau mit der anderer Funde vergleichen. „Dadurch können wir feststellen, wie sich bestimmte Arten allmählich an Veränderungen des Ökosystems angepasst haben.“ Langfristig sollen alle Geiseltalfossilien auf diese Weise einmal in einer Datenbank erfasst und beschrieben werden – ein Projekt, das Jahrzehnte in Anspruch nehmen könnte.

Mit Hilfe von Kustos Meinolf Hellmund hat Hastings wichtige Vorarbeiten geleistet: Er hat eine digitale Karte der Fossilienfundorte rund um das Reptilweibchen angefertigt. In der Fachliteratur hat er über das Ökosystem und die Klimabedingungen zur damaligen Zeit im Geiseltal nachgelesen und untersucht, welchen Einflüssen das Tier ausgesetzt war. Er recherchierte zu fossilen Belegen von Brutpflege und prüfte das Fossil auf die verschiedenen möglichen Todesursachen hin. Die Ergebnisse sollen im Fachjournal „Palaios“ veröffentlicht werden. In seinem Beitrag kommt Hastings zu dem Schluss, dass im Fall von GMH6074 ein Temperaturabfall die wahrscheinlichste Todesursache ist. Denn Krokodile reagieren auf Klimaschwankungen besonders empfindlich.

Als Kaltblüter wirkt sich ein kaltes Klima direkt auf ihre Köpertemperatur aus. „Das Weibchen hat sich offenbar bemüht, als es kälter wurde, zumindest die Temperatur der Eier möglichst lange zu halten“, sagt Hastings. Der Fund ist nur einer unter vielen, die ihn zurzeit beschäftigen. Der Paläontologe arbeitet an mehreren Fachartikeln, in denen er verschiedenen Rätseln der Sammlung auf den Grund geht. „Eine spannende Frage ist zum Beispiel, wie sich fünf verschiedene Krokodilarten denselben Lebensraum teilen konnten. Bislang sind uns nur Funde bekannt von Orten, wo maximal zwei – im nördlichen Südamerika eventuell drei – verschiedene Arten am selben Fleck leben. Auch hier ist das Geiseltal eine bedeutsame Ausnahme.“

Auch auf andere Weise sollen die wertvollen Schätze aus Halle bald wieder stärker in den Blick der Öffentlichkeit rücken. Gemeinsam mit Meinolf Hellmund bereitet Alexander Hastings zurzeit eine große Ausstellung in der Leopoldina vor, die urzeitliche Sägezahnkrokodile, Riesenvögel und andere Tiere aus dem Geiseltal zeigen wird, wie sie noch nie zuvor zu sehen waren.

Aus der Morgendämmerung: Pferdejagende Krokodile und Riesenvögel

Ab 6. März kann jeder gemeinsam mit Urpferdchen, Sägezahnkrokodilen und anderen ausgestorbenen Arten durch das Geiseltal von vor 45 Millionen Jahren spazieren. In der Leopoldina in Halle präsentiert das ZNS die eindrucksvollen Fossilien, wie sie noch nie zuvor zu sehen waren. Dank Computeranimationen und interaktiven Medien können Besucher die Dynamik des urzeitlichen Lebens nachempfinden und dadurch Evolutionsvorgänge verstehen lernen. Das Projekt ist für verschiedene Altersgruppen konzipiert, kleinere Kinder erfahren die Inhalte auf ihrer eigenen Sichtebene. Die zweisprachige Schau, finanziert von der Kulturstiftung des Bundes und in Kooperation mit der Leopoldina - der Nationalen Akademie der Wissenschaften, ist für ein internationales Publikum, für Wissenschaftler und regionale Besucher gleichermaßen konzipiert. Die Schau ist vom 6. März bis zum 29. Mai 2015, Montag bis Freitag 10 bis 18 Uhr in der Leopoldina am Jägerberg 1, 06108 in Halle zu sehen.

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