Die Lehre der Zukunft

In der Präambel des vom Senat verabschiedeten Leitbildes steht, dass die Universität seit ihrer Gründung die akademische Lehre als zentrale Aufgabe sieht. Warum braucht es jetzt, nach mehr als 500 Jahren, dafür ein Leitbild?
Pablo Pirnay-Dummer: Das braucht es schon lange und soweit ich informiert bin, ist das in den vergangenen 20 Jahren an der MLU auch diskutiert worden. Viele Universitäten haben sich in Folge der Bologna-Reform Leitbilder gegeben. Es ist immer ganz gut und manchmal sogar erforderlich, auf ein Leitbild Lehre zu verweisen, zum Beispiel für bestimmte Zuwendungen. Auch aus der Politik wird das Thema an uns herangetragen. An einer so großen Institution wie unserer Universität brauchen wir es aber auch als Selbstbekenntnis und als Orientierung für unser Handeln.
Können Sie ein Beispiel nennen, wie das Leitbild bei der Orientierung helfen kann?
Praktisch jeden Tag fangen neue Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei uns an. Viele nehmen Forschung und Lehre zu Beginn als zwei getrennte Aufgaben wahr. Das Leitbild Lehre zeichnet auf, wie Forschung und Lehre miteinander verzahnt sind. Ein Passus sagt zum Beispiel, dass Studierenden eine „aktive Teilhabe an aktuellen und laufenden Forschungsprozessen“ ermöglicht werden soll. Viele Lehrende sind überrascht, wenn sie mit mir darüber reden. Da heißt es: „Ach, das kann ich machen, das ist erlaubt?“ Es ist nicht einfach nur erlaubt, es ist erwünscht, das zu tun!
Andere Punkte in dem Papier scheinen auf den ersten Blick dagegen wenig überraschend, etwa: „Das Studium erfordert eine hohe Lernbereitschaft.“
Wir erleben heute auf Seiten der Studierenden ganz oft die Erwartung, dass Lehre etwas ist, was mir widerfährt, was mich unterhalten und mich komplett abholen soll. Und wenn ich da nur hingehe, dann ergibt sich der Rest von selbst. Diese Studierenden sind manchmal irritiert davon, welche große Rolle ihr eigener Anteil spielt. Das werfe ich nicht unbedingt der Studierendenschaft vor, es ist auch eine strukturelle Folge der Bologna-Reform. Wir haben heute Modulkataloge, die immer ein Versprechen abgeben, welche Fähigkeiten ich nach dem Besuch einer Lehrveranstaltung erworben habe. Das erzeugt bei 56 vielen – nicht bei allen – die Erwartungshaltung, dass das ein passiver Prozess ist.
Wie lief die Entstehung des Leitbilds ab?
Wir haben nach meinem Amtsantritt den ehemaligen Arbeitskreis zur Qualität in der Lehre in den Status einer Rektoratskommission zur Zukunft von Studium und Lehre erhoben. In ihr sind alle Mitgliedergruppen vertreten. Innerhalb der Rektoratskommission hat ein Arbeitskreis den ersten Entwurf des Leitbilds entwickelt. Von dort ist er in die Senatskommission für Studium und Lehre gegangen und mit allen Interessengruppen mehrfach diskutiert worden. Auch die Fakultätsräte haben sich damit befasst. In der Senatskommission wurde daraus dann eine Empfehlung an den Senat erarbeitet.
Gab es Punkte, um die besonders gerungen wurde? Es sind ja auch durchaus zukunftsweisende Themen wie die digitale Transformation oder Nachhaltigkeit enthalten.
Gerungen wurde um alle. Ich hoffe, dass wir das relativ schnell mit Maßnahmen und weiteren strategischen Komponenten untersetzen können. Zum Beispiel zum gezielten Einsatz von digital gestützten Lehr-, Lern- und Prüfungsformen, mit denen wir nicht nur die Flexibilität des Lernens, sondern auch die Chancengerechtigkeit erhöhen. Insgesamt gilt: Wir müssen konkurrenzfähig bleiben.
Das heißt? Nehmen wir als weiteres Beispiel die Nachhaltigkeit.
Zukünftige Studierende achten heute darauf, welche Konzepte die Häuser haben, um sich selbst nachhaltig zu verhalten. Und sie schauen auch, wie das Thema in Studienprogramme integriert wurde. In dieser Generation spielen die Themen der Zukunft eine starke Rolle bei der Wahl des Studienfachs und des Studienortes. Mit der Integration in die Lehre machen wir sie auch zum Gegenstand einer akademischen Auseinandersetzung.
Die Leitlinie wurde beschlossen … Und dann?
Schon am nächsten Tag haben wir begonnen, weiter daran zu arbeiten. In der Rektoratskommission, aber auch in Interessenvertretungen werden Konkretisierungen erarbeitet. Mit jeder Säule, die wir unter dem noch abstrakten Leitbild entwickeln, wird plastischer, was wir zu tun gedenken. Ich hoffe, dass uns das bis Ende 2025 gelingt, aber man muss der Diskussion auch Raum geben.
Dass die Debatte nicht beendet ist, hat auch eine Runde gezeigt, zu der Sie im Oktober Studierende unter dem Titel „Deine Uni, deine Regeln“ eingeladen haben.
Wir haben lange wenig getan, um das Engagement von Studierenden für die Lernkultur zu unterstützen. In der Runde haben wir festgestellt, dass auch das Wissen darüber, wie man sich engagieren kann, nach- gelassen hat. Da gab es auch viel Überraschung darüber, was bereits alles getan wird zu den Themen, die die Studierenden umtreiben. Gemeinsam mit dem Studierendenrat wollen wir deshalb künftig Veranstaltungen zu verschiedenen Facetten anbieten – studentische Gesundheit, Prüfungsbewältigung, Finanzierung. Wir wollen aufklären, wie sich die Universität der Themen annimmt und welche Freiräume es für die Studierenden gibt. Also: weniger Schule, mehr Universität! Wir haben 20 000 brillante Köpfe an der MLU. Es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn da nicht ein guter Anteil darunter wäre, der die Universität mitgestalten kann.
Seit 2022 gibt es auch den Tag der Lehre – Sie selbst haben dort schon von großem Innovationswillen gesprochen. Welche Bedeutung hat die Veranstaltung?
Wenn wir in die Universität hineinschauen, fallen uns überall Leuchttürme in der Lehre auf, über die aber außerhalb der Institute oder der Fakultäten kaum jemand etwas weiß. Nicht, weil es verheimlicht würde, wir hatten einfach keinen Kommunikationskanal dafür, keinen Anlass. Der Tag der Lehre, entstanden aus der Onlinetagung „Lehre Digital & Hybrid“ im Jahr 2021, ist eine Veranstaltung, auf der wir uns disziplinübergreifend anschauen können, was es Innovatives gibt. Manches ist fachtypisch, anderes kann man weiter ausrollen – oder sich einfach sehr niedrigschwellig inspirieren lassen. 2023 hatten wir zum Beispiel einen BestPractice-Workshop zur innovativen Anwendung von KI in der Lehre.
2025 gibt es zum ersten Mal einen halben Tag Dies academicus zu diesem Anlass. Was hat dazu geführt?
Das war ein Wunsch, der im Nachgang des Tages der Lehre 2024 an uns herangetragen wurde – von Studierenden, aber insbesondere von Lehrenden, die wegen eigener Veranstaltungen nicht dabei sein konnten. Man sieht also: Beim Tag der Lehre gibt es Bewegung. Er wird immer mehr zu einer Institution, in der wir uns als Universität insgesamt Gedanken über Qualitätsentwicklung machen. Im Tagesgeschäft erleben wir ganz viel Qualitätssicherung, hier können wir über die Zukunft reden.
