Ein forschender Blick in die Wiege der Leucorea

21.01.2014 von Margarete Wein in Rezension, Wissenschaft
War der erste Band der Wittenberg-Forschungen (erschienen 2011) „Universität und Stadt“ den prägenden Veränderungen zwischen 1486 und 1547, also vom Regierungsantritt Friedrichs des Weisen bis zum Ende der ernestinischen Herrschaft gewidmet, liegt der Fokus diesmal – in zwei Teilen: Text- und Bildband – auf dem Verhältnis zwischen der Stadt und ihren Bewohnern. Rezension zum Buch "Das ernestinische Wittenberg: Stadt und Bewohner", verfasst von Margarete Wein.
Die Leucorea in Wittenberg. Eine neue Buchveröffentlichung widmet sich dem Verhältnis der Leucorea und der Stadt Wittenberg.
Die Leucorea in Wittenberg. Eine neue Buchveröffentlichung widmet sich dem Verhältnis der Leucorea und der Stadt Wittenberg. (Foto: Archiv Pressestelle der MLU)

War der erste Band der Wittenberg-Forschungen (erschienen 2011) „Universität und Stadt“ den prägenden Veränderungen zwischen 1486 und 1547, also vom Regierungsantritt Friedrichs des Weisen bis zum Ende der ernestinischen Herrschaft gewidmet, liegt der Fokus diesmal – in zwei Teilen: Text- und Bildband – auf dem Verhältnis zwischen der Stadt und ihren Bewohnern.

Selbstverständlich spielt die Leucorea auch hier eine tragende Rolle, doch nicht so sehr als frühes Glied in der Kette der mitteldeutschen Universitäten, sondern mehr als umfassender Faktor der städtischen, gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklung. Zugleich werden die konkreten Lebens­bedingungen der Einwohner untersucht.

Wie wohnten die Wittenberger? Was war typisch für das Schulwesen vor der Reformation? Welche Gelehrten und Professoren, Buchdrucker und Verleger, Künstler und Handwerker siedelten sich hier an? Wie wirkten sich die Gründung der Hohen Schule im Jahr 1502 und später die Wittenberger Reformation auf das geistige Klima dieser Residenz- und Universitätsstadt aus? Welche Gebäude – außer dem Schloss Friedrichs des Weisen, der Stadtpfarrkirche und den universitären Bauten – prägten das urbane Bild und damit die Sicht der Bewohner auf ihre Stadt?

Cover des Buches "Das ernestinische Wittenberg. Stadt und Bewohner", erschienen im Michael Imhof Verlag.
Cover des Buches "Das ernestinische Wittenberg. Stadt und Bewohner", erschienen im Michael Imhof Verlag.

Um diese und manche weitergehenden Fragen zu beantworten, wurden zahlreiche, teils bisher unberücksichtigte schriftliche, bildliche und architektonische Quellen sowie archäologische Funde erforscht. Sieben Autorinnen und zwölf Autoren stellen die Resultate ihrer Arbeit in zwanzig Beiträgen vor. Anhand des ältesten Wittenberger Stadtbuchs wird die städtische Verwaltung jener Zeit analysiert.

Details zur Baugeschichte etlicher repräsentativer und profaner Bauten geben Einblicke in das alltägliche Leben: in Bürgerhäusern, im Collegium Augusteum und im Schloss Friedrichs des Weisen. Neben kirchenhistorischen Abhandlungen stehen interessante Informationen zu Kelleranlagen und Öfen, zur Stellung der Wittenberger Theologischen Fakultät in der Reformation, zu Sozialstruktur und Hierarchie in den Wittenberger Collegien, zum innereuropäischen Kulturtransfer …

Dabei geht der Blick durchaus auch über den Wittenberger Tellerrand hinaus: etwa bei den Reiseaufzeichnungen des Hans Herzheimer, der im Jahr 1519 seine zwei ältesten Söhne besuchte, die in Wittenberg studierten, ebenso im Bezug auf das Wirken des engen Luther-Vertrauten Georg Rörer in Wittenberg und Jena sowie im Porträt des aus Oberitalien stammenden Hofmalers Friedrichs des Weisen, Jacopo de’Barbari, der auch das Frühwerk des in Wittenberg wirkenden Malers und Ikonographen Lucas Cranach des Älteren stark beeinflusste.

Sämtliche Artikel sind mit einem reichhaltigen Anmerkungsapparat ausgestattet – für Experten gewiss ein wahres Eldorado. Ebenso sind wohl die knapp sechzig Seiten am Ende des Textbandes, Literaturangaben, Verzeichnisse der gedruckten wie der ungedruckten Quellen (vor allem in diversen Archiven lagernd), ein Personen- und ein Ortsregister vor allem für Fachleute gedacht.

Im gesonderten Bildband finden sich über 300 Porträts, Handwerksszenen und Stillleben, historische und moderne Karten, Bestands- und Rekonstruktionszeichnungen, Fotos von Gebäuden und archäolo­gischen Funden, Handschriften und Kunstobjekten. Nicht wenige der Abbildungen – beispielsweise einige der Dokumente zum Collegium Augusteum – sind hier erstmals gedruckt und eröffnen so der Forschung zu Mittelalter und Früher Neuzeit neue Perspektiven.

Der zweiteilige zweite Band ging wie der erste aus dem übergreifenden Forschungsprojekt „Das ernestinische Wittenberg: Universität und Stadt (1486–1547)“ hervor, das als interdisziplinärer wissenschaftlicher Beitrag zum Reformationsjubiläum 2017 seit 2009 vom Land Sachsen-Anhalt und von der Stiftung LEUCOREA gefördert wird. Unter der Leitung von Prof. Dr. iur. Heiner Lück arbeiten Landes-, Rechts- und Kirchenhistoriker, Bauforscher, Kunsthistoriker und Archäologen der Universitäten Halle-Wittenberg und Leipzig sowie der Technischen Universität Berlin.

► Heiner Lück, Enno Bünz, Leonhard Helten, Armin Kohnle, Dorothée Sack und Hans-Georg Stephan (Hg.): Das ernestinische Wittenberg: Stadt und Bewohner, Reihe Wittenberg-Forschungen, Band 2/1 (Textband, 426 Seiten), Band 2/2 (Bildband, 180 Seiten), Michael Imhof Verlag, Petersberg 2013, 54,00 Euro, ISBN 978-3-86568-917-7

Schlagwörter

Leucorea

Kommentar schreiben