Zwischen Antragsprosa und Grenzenlosigkeit

26.09.2012 von Carsten Heckmann in Im Fokus
Interdisziplinarität scheint in der Wissenschaft heute unverzichtbar. Inflationär taucht das Wort in Projektanträgen und Förderausschreibungen auf. Wird darüber die disziplinäre Arbeit vernachlässigt? Wie kann die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern verschiedener Fächer überhaupt funktionieren? Diesen Fragen geht das neue Unimagazin nach, das am 1. Oktober erscheint. Zur Gefahr der Antragsprosa, zu politischen Konstruktionsfehlern und seiner eigenen interdisziplinären Arbeit äußert sich Professor Daniel Fulda, Geschäftsführender Direktor des IZEA, bereits im Online-Interview:  
"Für die interdisziplinären Einrichtungen gibt es keine Möglichkeit, regulär die Stimme zu erheben in den Gremien." - Professor Daniel Fulda
"Für die interdisziplinären Einrichtungen gibt es keine Möglichkeit, regulär die Stimme zu erheben in den Gremien." - Professor Daniel Fulda (Foto: Maike Glöckner)

Herr Professor Fulda, was ist für Sie Interdisziplinarität?

Einen großen Unterschied macht es, ob ein einzelner Wissenschaftler interdisziplinär arbeitet oder ob sich mehrere Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen zusammentun. Dass sich Wissenschaftler zusammentun, um einen Gegenstand aus verschiedenen Perspektiven in den Blick zu nehmen, ist eigentlich nichts Besonderes. Das war immer nötig, und bei uns in der Aufklärungsforschung ist es unabdingbar. Denn die Aufklärung war eine Bewegung in allen Bereichen der Gesellschaft. Da ist es ganz klar, dass bei ihrer Erforschung Philosophen dabei sind, Literaturwissenschaftler, Historiker, Theologen, Politologen, Musik- und Kunstwissenschaftler.

Wenn ein einzelner Wissenschaftler interdisziplinär zu arbeiten versucht, ist das weniger selbstverständlich, denn der einzelne Forscher soll sich ja der Methoden seiner Disziplin bedienen und adressiert seine Ergebnisse in der Regel an die eigenen Fachkollegen. Trotzdem sehe ich in der interdisziplinären Arbeit des Einzelnen das eigentlich Spannende. Man kommt dann zu neuen Herangehensweisen, es werden Methoden verbunden, es kommen Ergebnisse heraus, die bei der Beschränkung auf die eigene Disziplin nicht möglich wären.

Können Sie das an einem Beispiel erläutern?

Gerne. Ich nehme eines aus meiner eigenen Arbeit als Literaturwissenschaftler. Ein wichtiges Arbeitsgebiet ist für mich die Geschichtsschreibung, also das, was Historiker machen. Aber auch Literaten haben sie betrieben. Doch selbst wenn sie von Historikern stammt, können wir untersuchen, wie der Leser einen plastischen Eindruck von vergangenem Geschehen bekommt, wie Geschichtsschreiber ihre Texte organisieren, wie sie rhetorisch versuchen, Leser zu überzeugen. Diese Fragen stellen klassischerweise Literaturwissenschaftler. Ihre textanalytische Kompetenz können sie natürlich auch auf historiografische Texte anwenden. Das war in den 1990er Jahren, als ich damit angefangen habe, aber noch etwas Neues. Das hat sich seitdem geändert.

Wie haben die Historiker reagiert, als Sie damit begannen?

Die Resonanz war groß und unterschiedlich. Es gab Stimmen, die gesagt haben: Fulda versteht nicht, dass Ranke, der wichtigste deutsche Historiker des 19. Jahrhunderts, ein geschichtswissenschaftliches Interesse hat. Das habe ich aber nie bestritten. Nur war für Manche gar nicht vorgesehen, dass jemand wie Ranke noch andere Interessen gehabt haben könnte. Von solchen Beschränkungen muss man wegkommen, wenn sie die Forschung einengen. Und dann muss man eben empirisch nachweisen, dass auch andere, in diesem Fall ästhetische Interessen und Verfahren im Spiel waren. Interdisziplinarität kann sehr dabei helfen, Scheuklappen abzunehmen.

Der Präsident der FU Berlin Prof. Dr. Peter-André Alt meint, nur wer das Eigene kenne, könne sich mit dem Anderen gründlich beschäftigen. „Wo man zu früh in Zwischenbereiche der Wissenschaft eintritt, droht die Gefahr des Verlusts disziplinärer Identität“, schrieb er in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung.

Professor Alt ist germanistischer Literaturwissenschaftler, und ich schätze ihn sehr. Er hat natürlich Recht, dass man über Interdisziplinarität die Disziplinarität nicht vernachlässigen darf. Nach meinem Verständnis meint Disziplinarität die Beherrschung der Methoden im eigenen Fach und die Kenntnis von Forschungsergebnissen. Also das Zuhause-Sein im eigenen Fach. Das ist unabdingbar.

Allerdings sind die Disziplinen nicht so geschlossen, wie es der Begriff suggeriert. In den Fächern, in die ich Einblick habe, gibt es keine einheitliche Methodik. Sie gliedern sich intern wieder auf, im Bereich der Germanistik zum Beispiel in Literatur- und Sprachwissenschaft. Da gibt es dann Kompetenzen, die germanistische und romanistische Sprachwissenschaftler gemeinsam haben, ebenso Kompetenzen, zum Beispiel der Textkritik, die nicht nur für Philologen wichtig sind, sondern auch für Theologen und Historiker. Wir haben es nicht mit fest abgegrenzten Einheiten zu tun. Das ist in Bewegung, und es gibt fächerübergreifende Gemeinsamkeiten. Es wäre daher eine Täuschung, wenn wir glaubten, wir könnten uns in die Grenzen unseres eigenen Faches zurückziehen.

Ist der Begriff Interdisziplinarität zu einem plakativen Werbewort verkommen, der eben zur Antragsrhetorik dazugehört, wie es nicht nur Professor Arlt nahelegt? Der Begriff um des Begriffs willen?

Das kann schon vorkommen. Am IZEA etikettieren wir bewusst nicht alles als „interdisziplinär“, weil das die Normalform unseres Arbeitens ist. Es gibt auch eine Art von plakativem Hervorheben, die überspielen soll, dass nicht so viel dahinter ist.

Fachidentitäten lösen sich auf, befürchten manche Forscher. Muss man sich Sorgen machen um einige Fächer?

Ein eigenes Fach konstituiert sich ja ganz wesentlich durch organisatorische Regelungen, die wenig zu tun haben mit wissenschaftlichen Kriterien. Sie organisieren sich von Schulfächern her, durch Zeitschriften. Es gab in siebziger Jahren mal die Tendenz, die einzelnen Philologien aufzugeben zugunsten einer Gesamtphilologie. Durchgesetzt hat sich das nicht. Wo Fächer klein sind, mag man manchmal versucht sein, etwas zusammenzulegen. Wenn die eben angesprochene Disziplinarität dadurch in Frage gestellt wird, schadet das der wissenschaftlichen Arbeit, statt sie zu unterstützen. Beispielsweise die Germanistik an der MLU ist im Vergleich mit anderen Universitäten klein, dennoch könnten nicht die Romanisten unsere Arbeit übernehmen. Es fehlt ihnen sicher nicht an der methodischen Kompetenz, aber um es einfach zu sagen: Sie haben nicht genug Goethe und Brecht gelesen.

Doch an den Hochschulstrukturen wird eine Kritik ganz anderer Art festgemacht. Sie seien von Fächern geprägt und erschwerten somit Interdisziplinarität. Sind wissenschaftliche Zentren wie das IZEA der beste Beweis dafür, dass es in den üblichen Strukturen nicht funktioniert?

Es kommt darauf an, welche Rolle die traditionellen Akteure, also die Institute und Fakultäten, spielen. Schaut man auf die Organisation des Studien- und Lehrbetriebs, dann kann man sagen, dass sie gut funktionieren. Nach meiner Wahrnehmung sind sie aber keine Einheiten, in denen Forschung lebt und Forschungsstrategien entwickelt werden. Bei uns im Institut wird in allen Abteilungen international anerkannte und messbar erfolgreiche Forschung geleistet, aber mit dem Rücken zueinander, das heißt das Gesicht anderen, häufig außerhalb der MLU, zugewandt. Denn die Abteilungen haben je eigene Themen und Methoden. An Instituts- und Fakultätsgrenzen können sich geisteswissenschaftliche Forschungsverbünde bei uns noch weniger halten als an anderen Universitäten, weil die meisten Fächer vergleichsweise wenige Professuren haben. Wichtig fände ich daher, dass die interdisziplinären Forschungseinrichtungen und ‑verbünde eine bessere Repräsentanz in der Universität bekommen. Für die interdisziplinären Einrichtungen gibt es keine Möglichkeit, regulär die Stimme zu erheben in den Gremien. Das ist meines Erachtens ein Konstruktionsfehler des Landeshochschulgesetzes.

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