Süchtig nach Farbe

15.05.2012 von Tom Leonhardt in Varia, Personalia
Eigentlich müsste er es besser wissen: Prof. Jürgen Langner ist Mediziner und trotzdem süchtig – Nach Stickern, Postern, bemalten Fliesen und all‘ den kleinen Stücken, die an Halles Häuserwänden hängen. Ein Ende der Sucht ist nicht in Sicht. „Gerade auf dem Weg hierher habe ich schon zwei neue Stücke gefunden“, sagt er bei der Ankunft in seiner Foto-Ausstellung in der Hollystraße.
Mit "Horst" und "Ossis Nine" begann Jürgen Langners Faszination für StreetArt.
Mit "Horst" und "Ossis Nine" begann Jürgen Langners Faszination für StreetArt. (Foto: Jürgen Langner)

„Die hallische Szene ist sehr produktiv“, freut sich Jürgen Langner, der 2009 StreetArt für sich entdeckt hat. Bis dahin habe der Mediziner im Ruhestand die Kleinkunst an den Häuserwänden und Stromkästen gar nicht wahrgenommen. Im Winter dann fielen ihm zwei kleine Aufkleber in der Nähe des Diakonie-Krankenhauses auf: „Auf dem einen war eine Figur mit dem Namen Horst zu sehen“, erinnert sich Langner. Fast direkt daneben fand er einen weiteren Sticker, ebenfalls mit einer gezeichneten Figur darauf und der Aufschrift „Ossis Nine“. Seitdem hat es bei ihm „klick“ gemacht: Fast jeden Tag zieht Langner durch Halle, immer auf der Suche nach neuen Werken, die er fotografieren und dokumentieren kann.

Straße statt Labor

Im Foyer des Instituts für für physiologische Chemie hängen nun zahlreiche Foto-Tafeln, auf denen die verschiedensten Formen hallischer StreetArt zu sehen sind. Von kleinen Stickern, über Schablonen-Graffitis – „so genannte Pochoirs“, ergänzt Langner – bis hin zu Postern, Siebdrucken und sogar aufgeklebte Fliesen hat Jürgen Langner alles gesammelt. Besonders haben es ihm die so genannten „Kuss“-Bilder angetan: Von ihnen hat er ganze Serien zusammengestellt und kann so die Entwicklung des Kuss-Künstlers bzw. der Kuss-Künstler nachzeichnen: „Manche der Werke würde man gar nicht erkennen“, so Langner, „wenn man die vorherigen nicht kennt.“ Sein Lieblings-Kuss sind eigentlich zwei Sticker, die direkt übereinander geklebt sind und nur zusammen auf ihren Inhalt schließen lassen. Damit auch StreetArt-Neulinge die Bilder besser verstehen können, gibt es zu den verschiedenen Themenkomplexen noch kleinere, erklärende Texte.

"Kuss"-Serie
"Kuss"-Serie (Foto: Jürgen Langner)

Er selbst kennt sich in der hallischen wie internationalen StreetArt-Szene mittlerweile bestens aus: Ohne zu zögern ordnet er verschiedene Fotos in seiner Ausstellung dem Künstlerkollektiv Klub7 zu und erzählt gleichzeitig von internationalen Künstlern, die ebenfalls ihre Spuren in Halle hinterlassen haben. Wenn Langner über seine Fotos berichtet, ist er in Gedanken immer genau an dem Ort, wo man beispielsweise den Sticker findet: Er zeigt mit seinen Händen auf die Stelle, an der man den Aufkleber finden könnte und auch, wie groß das Kunstwerk ist.

Apropos Größe: „Bei meiner Arbeit habe ich mich vorrangig auf die kleinen Stücke konzentriert.“ Die seien nämlich schwieriger zu finden, obwohl es in Halle unzählbar viele gibt. „Das ist so ähnlich wie Pilze suchen“, erklärt Langner. Manchmal müsse man erst eine Weile umherlaufen, ehe man das erste Stück gefunden hat. Dann aber erschließen sich immer mehr. Manchmal gefallen ihm einige der Kunstwerke sogar so sehr, dass er sie kurzerhand mitnimmt. Ein Beispiel dafür sind die „Damenbilder“, Siebdrucke im Stile von Andy Warhol. „Die hatte ich an einem Tag gesehen und wollte sie am folgenden fotografieren, da fehlte dann schon ein Stück.“ Wenn andere die Stücke mitnehmen, dürfe er das ja auch.

„Ich schlafe nachts“

Jürgen Langner auf der Suche nach neuen Stickern
Jürgen Langner auf der Suche nach neuen Stickern (Foto: Maria Preußmann)

Kontakt zu hallischen StreetArt-Aktivisten hat Langner trotz seiner Faszination keinen. Die meisten Werke werden im Schutz der Dunkelheit angebracht und die Künstler legen Wert darauf, unerkannt zu bleiben. Es wäre also nur Zufall, einen der Schaffer nachts zu treffen. Außerdem stehen für den Mediziner nicht die Urheber der Werke im Vordergrund, sondern die Botschaft und die Varianz der einzelnen Arbeiten. Ziel vieler Arbeiten sei es, vermutet er, eine Art bunte „Gegenbewegung zur Vereinnahmung der Stadt durch Werbung“ darzustellen. Und das scheint zu funktionieren: „Ich habe meinen Spaß daran“, fasst Langner zusammen.

Vor einigen Monaten kam ihm dann der Gedanke, seine Fotos auszustellen. Einen Ort dafür fand er im Physiologisch-Chemischen Institut der Medizinischen Fakultät, wo er von 1961 bis 1985 als Assisitent gearbeitet hatte. „Ich bin nach der gängigen Definition ein Hallunke“, gibt Langner zu, der seit 1955 in Halle wohnt. Damals war er für sein Medizinstudium an die MLU gekommen. Nach dem Studium folgte seine erste Ausbildung zum Facharzt. In einer anschließenden Habilitation beschäftigte sich Lagner bis 1974 mit dem Eiweißabbau in der Leber der Ratte.

„Dann war der Plan in Halle, eine eigene Abteilung für Immunologie aufzubauen“, erinnert sich der pensionierte Mediziner. Schließlich war die Immunologie ab 1978 ein Pflichtfach in der Medizinerausbildung der DDR und man benötigte speziell ausgebildetes Personal. Langner nahm das Angebot einer weiteren Facharztausbildung an und wurde so zum Facharzt für Immunologie in Halle. Danach konnte er 1985 in das von ihm gegründete Institut für Medizinische Immunologie (heute im Bereich des Altklinikums Magdeburger Straße 2) wechseln.

Risiken und Nebenwirkungen?

Das rote Symbol, das ein wenig an ein Kellog's-K erinnert, hat es Langner besonders angetan
Das rote Symbol, das ein wenig an ein Kellog's-K erinnert, hat es Langner besonders angetan (Foto: Jürgen Langner)

Wenn der Immunologe mit seiner Frau spazieren geht, fallen ihm immer wieder neue Stücke auf, die er noch nicht gesammelt hat. Eigentlich teile seine Frau die Begeisterung für StreetArt, aber manchmal sei sie auch etwas genervt von seiner Faszination. Dann gehe er häufig später einfach noch mal zu den Fundstellen und mache seine Fotos dann. Auf die Frage, ob er sich auch schon einmal selbst an einem Kunstwerk versucht habe, antwortet er schmunzelnd: „Man kommt natürlich auf den Gedanken, zum Beispiel mal eine Fliese anzubringen.“ Allerdings ließe sich der Drang dazu bisher gut beherrschen.

Langner ist sich bewusst, dass fast alle seiner fotografierten Stücke illegal angebracht worden sind. Auch würde er nicht alles als Kunst bezeichnen, was er in den Straßen finde. Gerade viele „tags“, Graffiti-Schriftzüge, seien „im Grunde nichts anderes, als würde man da mit seinem Hund vorbei laufen und ihn einen Haufen hinsetzen lassen und dann sagen ich war hier.“ In dieser Hinsicht wünscht sich Jürgen Langner größere Anstrengungen bei den Sprayern, kunstvolle Werke anzufertigen. Und wenn möglich: „Nicht gerade auf eine frisch gestrichene Wand!“

Die Ausstellung in der Hollystraße ist noch bis Ende Mai zu sehen. Danach soll sie in der Uni Jena gezeigt werden. Für die kommenden Jahre hat sich Langner bereits neue Ziele gesetzt: Er möchte eine Sammlung über „StreetUnArt“ machen.

Kategorien

VariaPersonalia

Kommentar schreiben

Auf unserer Webseite werden Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung verwendet. Wenn Sie weiter auf diesen Seiten surfen, erklären Sie sich damit einverstanden. Einverstanden