Neue Lehrformate, Freiräume, künstliche Intelligenz: Was braucht sehr gute Lehre?

28.05.2025 von Tom Leonhardt, Katrin Löwe in Campus, Studium und Lehre
Der Tag der Lehre 2025 bot ein breit gefächertes Programm: eine Reihe von Workshops, die Vorstellung einer neuen KI-Instanz, die Verleihung der Lehrpreise und eine Podiumsdiskussion zu einer neuen akademischen Kultur an Universitäten. Zum ersten Mal gab es dafür auch einen Dies academicus.
Prorektor Pablo Pirnay-Dummer hat die Lehrpreise an Jens Walldorf, Michaela Kupietz und Anne Kluger (von links) übergeben.
Prorektor Pablo Pirnay-Dummer hat die Lehrpreise an Jens Walldorf, Michaela Kupietz und Anne Kluger (von links) übergeben. (Foto: Heiko Rebsch)

Dass die MLU in der Forschung exzellent ist, sei ihr in der vergangenen Woche mit Brief und Siegel bescheinigt worden. „Das ist großartig“, sagte Rektorin Prof. Dr. Claudia Becker. „Dass wir auch in der Lehre exzellent sind, sieht man an dem Engagement derjenigen, die sich dafür interessieren, wie wir Lehre an dieser Universität gut und noch besser machen können“, betonte sie mit Blick auf das Publikum in der Aula bei der Eröffnung des Tages der Lehre. Es gebe schließlich einige Herausforderungen, so die Rektorin. Künstliche Intelligenz, digitales Prüfen, Inklusion und Systemakkreditierungen nannte sie unter anderem. Auf Erstere kam der Prorektor für Studium und Lehre Prof. Dr. Pablo Pirnay-Dummer in seiner Begrüßung zurück: Mit einem symbolischen Akt gab er den Zugang für „MLU-KI“ frei, ein generatives KI-System, das die MLU ihren Studierenden und Beschäftigten zunächst für zehn Monate Probebetrieb kostenfrei zur Verfügung stellt. Unter einer Oberfläche vereint es ChatGPT und weitere KI-Modelle. „MLU-KI“ ist ein Projekt der Universitäts- und Landesbibliothek, des IT-Servicezentrums der MLU und des Zentrums für multimediales Lehren und Lernen LLZ.

Die Keynote zum Tag der Lehre hielt mit Prof. Dr. Evelyn Korn die Vizepräsidentin für Universitätskultur und Qualitätsentwicklung an der Philipps-Universität Marburg. Sie ist zugleich im Vorstand der 2020 gegründeten Stiftung Innovation in der Hochschullehre. Korn nahm den Faden der Förderung im Rahmen der Exzellenz-Strategie in mehreren Punkten auf. „Wir müssen schauen, dass wir für die Lehre in dem Spiel mitspielen“, sagte sie etwa. Dazu gehöre eine stärkere Reputation der Lehre, aber auch ein gewisser Freiraum und Experimentierräume für die Lehrenden. 140 Millionen Euro vergibt die Stiftung Innovation in der Hochschullehre laut Korn jährlich, um dies zu ermöglichen. „Für mich ist die Lehre die erste Form von Wissenschaftskommunikation“, sagte sie. Und: Sie wünsche sich, dass Promovierende und Postdocs aus den Exzellenz-Clustern in die Lehre hineinwachsen. Allein das Überlegen, wie sie ihre wissenschaftlichen Erkenntnisse so formulieren können, dass jemand ohne diese Spezialkenntnisse damit arbeiten kann, setze viele Ideen frei.

Um kreative Ideen und den Austausch ging es auch in den anschließenden Workshops. Deren Bandbreite reichte von Fragen zu einem konstruktiven Feedback über familiengerechte Lehr- und Studienbedingungen und Inklusion bis hin zu Künstlicher Intelligenz und einer zukunftsorientierten Prüfungskultur. Erstmals wurde der Tag samt der Diskussionen in den Workshops in Form eines Graphic Recordings festgehalten, dessen Ergebnisse auf großen Smartboards sichtbar wurden.

Neue Lehrpreise

Ein Höhepunkt der Abendveranstaltung war die Vergabe der Lehrpreise durch Prorektor Pablo Pirnay-Dummer. Anne Kluger vom Institut für Geschichte erhielt den Lehrpreis der MLU 2025. Er wurde dieses Jahr erstmals in der Ausrichtung „Lehren/Lernen für und durch gesellschaftliches Engagement“ vergeben. Gewürdigt wurde Kluger für ihr Seminar „Halle postkolonial“. Auf der Grundlage der intensiven Diskussion von wissenschaftlichen Texten wurden die Langzeitwirkungen von kolonialen Verflechtungen bis heute – etwa in Form von Straßennamen und Raubkunst – thematisiert und auf verschiedene Weise mit Zivilgesellschaft, Institutionen und der Stadt geteilt.

Den Lehrpreis @ward 2024 erhielt die Sprechwissenschaftlerin Michaela Kupietz für ihre Lehrveranstaltung „Sprechapraxie“. Diese wurde als sogenanntes Blended-Learning-Format mit sich abwechselnden Online- und Präsenzphasen konzipiert und durch Videos und Fallbeispiele ergänzt. Ziel der Veranstaltung war vor allem die praktische Vermittlung von Kenntnissen zur Diagnostik und Therapie des Störungsbildes Sprechapraxie.

Der Mediziner Prof. Dr. Jens Walldorf erhielt den ebenfalls zum ersten Mal vergebenen Studentischen Lehrpreis. Er lehrt im Bereich der Inneren Medizin und verantwortet inhaltlich und organisatorisch das Studium der Gastroenterologie. Walldorf setzt sich in der Medizinischen Fakultät, im Universitätsklinikum, aber auch in der Gremienarbeit für die gesamte Universität außerordentlich stark für die Beachtung von Nachhaltigkeitsaspekten ein, sagte der Prorektor in seiner Laudatio.

Anschließend wurden neun Absolventinnen und Absolventen des Zertifikatsprogramms „Erfolgreich Lehren“ gewürdigt. Sie alle absolvierten ein umfangreiches hochschuldidaktisches Weiterbildungsprogramm.

Debatte über Grenzen und Regeln

Die gesamte Abendveranstaltung stand unter dem Titel „Jenseits von Form und Curriculum. Optionen für Magie und neue akademische Kultur an Universitäten“. In ihr berichtete der Prorektor auch von einer Lehrveranstaltung, die er vor zehn Jahren angeboten hatte: ein Seminar zum Nichts. „Folgerichtig gab es keine Scheine und keine Punkte für die Studierenden, auch für mich als Lehrenden gab es nichts.“ Gemeinsam mit Studierenden aus ganz unterschiedlichen Fachbereichen widmete er sich verschiedenen philosophischen wie auch naturwissenschaftlichen Theorien des Nichts. Er habe damals eine große Begeisterung und eine „Sehnsucht nach einem Freiraum“ bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern beobachtet, die es in regulären Lehrveranstaltungen nicht so oft gebe.

Einen Einblick in ein aktuelles, innovatives Lehr-Forschungs-Projekt gab der Musik- und Medienwissenschaftler Prof. Dr. Golo Föllmer. Im Rahmen einer Förderung der Stiftung Innovation in der Hochschullehre hat er ein neues Lehrangebot für Studierende der Musikwissenschaft entwickelt. Ziel sei es, Studierende stärker als bisher Musik, Instrumente und Tontechnik praktisch erfahren zu lassen, indem sie vieles selbst ausprobieren können. Ergebnisse zeigten Studierende bei einer kurzen Aufführung des Stücks „Mikrophonie I“ des deutschen Komponisten Karlheinz Stockhausen.

Die sich anschließende Podiumsdiskussion widmete sich unter anderem den Regeln und Grenzen im Studium und der Frage, ob beziehungsweise wie diese überwunden werden könnten. Als Gäste waren neben Pirnay-Dummer und Föllmer auf dem Podium: die Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Petra Dobner, Dr. Dietrich Stoevesandt, Leiter des Dorothea Erxleben Lernzentrums der Medizinischen Fakultät, Joris Förster, studentischer Beauftragter für Lern- und Beteiligungskulturentwicklung des Prorektorats für Studium und Lehre, und Prof. Dr. Roger Gläser, Prorektor für Talententwicklung: Studium und Lehre an der Universität Leipzig.

Zu Beginn stellte der Prorektor eine These in den Raum: „Gute Lehre kann im Rahmen der Regeln ordentlich gestaltet werden und erfüllt dann die üblichen Standards. Sehr gute Lehre geht darüber hinaus – sie überschreitet zwangsläufig die Grenzen des Regelbaren.“ Dem stimmte etwa Roger Gläser nur bedingt zu und erwiderte: „Wir als Hochschulleitung müssen den Rahmen verändern und Freiraum gestalten.“ Die Politikwissenschaftlerin Petra Dobner kritisierte etwa die teils sehr strengen Regeln für modularisierte Studiengänge und warb auch für mehr Freiraum: „Wir brauchen in einer immer komplexer werdenden Welt Menschen, die selbstständig denken können.“

Die Perspektive für die Ausbildung angehender Ärztinnen und Ärzte brachte Dietrich Stoevesandt ein. Vom Medizinstudium würde man, so der Radiologe, vermutlich erwarten, dass es durch die Approbationsordnung größere Zwänge in Bezug auf Inhalt und Form des Studiums gibt. Aber: „Als Medizinische Fakultät müssen wir uns auch überlegen, ob eine reine Wissensübergabe an Studierende ausreicht.“ Er berichtete von den zahlreichen Lernsimulationen, die Studierenden die Möglichkeit geben, ihr erworbenes Wissen unter realistischen Bedingungen praktisch auszuprobieren und anzuwenden.

Golo Föllmer fragte etwa, warum Angebote wie ein hochschuldidaktisches Zertifikat nicht verpflichtend für alle wissenschaftlichen Beschäftigten sowie neu berufene Professorinnen und Professoren sind. Joris Förster erinnerte während der Diskussion immer wieder daran, die Position der Studierenden nicht zu vergessen. Sie sollten aktiv in die Gestaltung von Lehrveranstaltungen einbezogen und auch gefordert werden. Zwar hätten viele Studierende zu Beginn ihres Studiums oft das falsche Bild, dass eine bloße Teilnahme an Lehrveranstaltungen ausreicht. „Sobald dieses Missverständnis erkannt wird, wachsen das Engagement, der Mut und das Bedürfnis, Universität zu gestalten.“

Fakultätstag und Zukunftswerkstatt

Auch weitere Veranstaltungen am Dienstag widmeten sich der Lehre: Bereits am Vormittag wurde beim Fakultätstag der Philosophischen Fakultät III unter dem Titel „Unis in Bedrängnis - Studieren und Forschen in Zeiten des globalen Rechtspopulismus“ debattiert. In der Zukunftswerkstatt der Romanistik, die im Rahmen des 150-jährigen Institutsjubiläums stattfand, diskutierten Studierende, Ehemalige und Lehrende ihre Perspektiven auf die Lehre und entwickelten Ideen zu Studienorganisation, -inhalten und -formaten.

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