In memoriam Johannes Mehlig

15.10.2015 von Walter Slaje, Gunnar Berg in Personalia
Am 26. September 2015 ist mit Johannes Mehlig ein bedeutender Gelehrter und begeisterter Hochschullehrer, aber auch ein streitbarer Geist für akademische Freiheit und für den Wahrheitsanspruch der Wissenschaft verstorben. Die Universität verliert mit ihm den Protagonisten der Hochschulerneuerung schlechthin, der allen beharrenden Tendenzen entgegengetreten ist und sich mit großem Einsatz dafür engagiert hat, dass im Zuge der friedlichen Revolution insbesondere eine personelle Erneuerung an der Universität durchgesetzt wurde.
Prof. Dr. Johannes Mehlich
Prof. Dr. Johannes Mehlich (Foto: Heinrichsdorff)

Johannes Mehlig galt bis zu seiner 1992 erfolgten Berufung zum Universitätsprofessor für Indische Philologie und Altertumskunde als „Deutschlands dienstältester Universitätsassistent“, da er sich „in der Anpassungsdiktatur der DDR eine eigene Meinung leistete“, wie Kurt Reumann in der FAZ vom 8. Juli 2003 aus Anlass seines 75. Geburtstags treffend schrieb, und woran Hartmut Schiedermair in seinem dem Jubilar in Halle damals dargebrachten Geburtstagsgruß erinnert hatte.

Bei aller Tragik, die sich für sein berufliches Schicksal damit verband, ergab sich aus den ihm widerfahrenen Repressalien in ungeplanter Weise dann aber doch ein erheblicher Gewinn für die Wissenschaft und damit einhergehend auch für die Rezeption altindischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Denn als Wissenschaftler hatte Johannes Mehlig sich dem Fach Indologie verschrieben und sich in Halle „Über die Geschichte und Genesis des altindischen Ordals“ habilitiert (1965). Zwölf Jahre zuvor (1953) hatte sein ehemaliger Lehrer Paul Thieme Halle verlassen und war mehreren Rufen an westdeutsche (Frankfurt/M. und Tübingen) sowie an amerikanische (Yale) Universitäten gefolgt.

Wie Thieme selbst, der für seine bahnbrechenden Arbeiten im Jahre 1989 den Kyoto-Preis, das geisteswissenschaftliche Pendant zum Nobelpreis erhielt, fanden sich bereits unter dessen Vorgängern hochkarätige Indologen mit bis heute ungebrochen internationaler Reputation, wie etwa Richard Pischel, der auch als Rektor in Halle wirkte, oder Eugen Hultzsch. Sie alle hatten ihr Lebenswerk schwerpunktmäßig der Erforschung der Hochkultur des Alten Indien mit Methoden philologischer Quellenanalysen gewidmet.

Nach Thiemes Weggang blieb sein Lehrstuhl vakant, und in diesem Vakuum fand sich Johannes Mehlig als Letzter seiner Zunft in der Eigenschaft eines Universitätsassistenten perennis wieder, da ihm der Aufstieg in ein Professorenamt aufgrund politischer Unzuverlässigkeit versagt blieb. In den mehr als zwei Jahrzehnten, die zwischen der Verleihung der venia legendi (1965) und seiner späten Berufung (1992) auf den nach der Wende wiedergegründeten indologischen Lehrstuhl lagen, hatte Mehlig in den Räumen der Universitätsbibliothek Halle in stiller Arbeit eine Reihe wertvoller Arbeiten vorbereitet.

Sie konnten aber erst veröffentlicht werden, nachdem das ihm auferlegte Publikationsverbot aus Gründen einer dringend erforderlichen Devisenbeschaffung zurückgenommen worden war. Seit der so eingetretenen Öffnung für den verlegerischen Markt verbindet man mit dem Namen Mehlig vor allem eine fruchtbare Übersetzungstätigkeit. Seine Übertragungen altindischer Werke zeichnen sich durch ihre Verbindung von philologischer Präzision und gehobenem Sprachstil aus, was sie einem erweiterten Publikum in lesbarer Form zugänglich macht und so ihrer besseren Rezeption zugute kommt.

Besonders hervorgehoben zu werden verdienen hierbei Mehligs verdeutschte und kommentierte Sammlung des lyrischen und dramatischen Werks des großen indischen Dichters Kālidāsa (Leipzig 1983), seine knapp 1400 Seiten umfassende, zweibändige Übersetzungsanthologie von philosophischen und Weisheitstexten vorbuddhistischer und buddhistischer Herkunft („Weisheit des alten Indien“, München 1987) sowie die deutsche Erstübersetzung des gewaltigen Erzählwerks Somadevas, eines der begnadetsten Meisterdichter des Sanskrit („Ozean der Erzählungsströme“, Leipzig 1991). Letzteres erschien ebenfalls in zwei Bänden und umfaßt knapp 2000 Seiten.

Johannes Mehligs in renommierten Verlagen veröffentlichte Übersetzungen, die in ihrer Vermittlerfunktion zwischen den Kulturen Asiens und Europas einen hohen Stellenwert beanspruchen können und deren bleibender Wert gewiß ist, fanden ihre verdiente Würdigung schließlich in der Verleihung des „Friedrich-Rückert-Preises“ (1995) sowie in dem ihm in Anerkennung seiner indologischen Verdienste von der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig verliehenen „Friedrich-Weller-Preis“ (1998).

Seinem auch unter widrigsten Bedingungen ungebrochenen Arbeitsethos als Philologe und seiner unermüdlichen Hingabe an die Hebung der kulturellen und literarischen Schätze Indiens war es zu verdanken, dass das in Halle nach der friedlichen Revolution neu etablierte Fach Indologie international wieder aufschließen und wissenschaftlich auf Augenhöhe wahrgenommen werden konnte. Ohne die von Johannes Mehlig gelegten Grundlagen wäre keine einzige der seither in Halle erbrachten wissenschaftlichen Leistungen je zu realisieren gewesen.

Neben diesen, das Fach Indologie betreffenden Leistungen, ist aber besonders der Einsatz von Johannes Mehlig für die Hochschulerneuerung zu würdigen. Es soll betont werden, dass er zu den wenigen gehört hat, die auch während der SED-Diktatur davon überzeugt waren, dass das kommunistische System nicht überlebensfähig sein würde und der deshalb sofort, als Anzeichen des Zusammenbruchs sichtbar wurden, Aktivitäten entfaltet und Verbündete gesucht hat, um eine wahrhafte Erneuerung zu erreichen. Er hatte bewusst die Nachteile in Kauf genommen, die mit einer widerständigen Haltung verbunden waren, umso mehr war er jetzt daran interessiert, dass an der Universität, die unter parteipolitischen und anderen außerwissenschaftlichen Zwängen gelitten hatte, Verhältnisse einkehrten, die einer akademischen Einrichtung würdig sind – und er setzte sich mit all seiner Kraft dafür ein.

Die Hochschulpolitik der DDR hatte spätestens mit der dritten Hochschulreform im Jahr 1968 insofern Erfolg gehabt, als die personelle Zusammensetzung – selbstverständlich von Ausnahmen abgesehen – der „kaderpolitischen“ Zielsetzung entsprach, die man sich für eine sozialistische Universität vorgestellt hatte. So war es auch nicht verwunderlich, dass der gesellschaftliche Aufbruch im Jahr 1989 nicht von dort ausging, sondern sich in anderen Bereichen entwickelte – bei den Montagsdemonstrationen war die Universität deutlich unterrepräsentiert, wie man leicht erkennen konnte, wenn man sich dort umsah. Anders Johannes Mehlig – er gehörte zu denen, die sofort nach Möglichkeiten suchten, die neuen Kräfte zu mobilisieren und zu organisieren. So gehörte er in Halle zu den Mitbegründern des „Neuen Forums“, war der Initiator zur Gründung der „Initiativgruppe zur Erneuerung der Martin-Luther-Universität“ und engagierte sich am Runden Tisch in Halle.

Gemeinsam mit Dr. Bruno Tauché leitete er die „Initiativgruppe“, entwickelte deren Programm und formulierte die Ziele: akademische Selbstbestimmung durch Verwirklichung der Freiheit von Forschung, Lehre und Studium; Autonomie der Universität durch akademische Selbstverwaltung und Freiheit von parteipolitischer und sonstiger Bevormundung, insbesondere natürlich Meinungsfreiheit, sowie personelle Erneuerung – letztgenannte Forderung war die vordringlichst zu erfüllende, da erst sie Voraussetzung einer tatsächlichen Veränderung sein konnte. So standen für das Frühjahr 1990 turnusmäßig Neuberufungen von Professoren an, selbstverständlich zum großen Teil noch vorbereitet vor dem großen gesellschaftlichen Aufbegehren.

Johannes Mehlig hätte zu den wenigen gehört, für die eine Rehabilitation so auf der Hand lag, dass er natürlich ebenfalls berufen worden wäre – doch er wendete sich gegen das Verfahren, da, abgesehen von einigen „kosmetischen Korrekturen“, im Wesentlichen die „Kaderpolitik der SED“ fortgeführt worden wäre. Er hatte Erfolg und konnte auf diese Weise erleben, dass erst nach dem Inkrafttreten des neuen Hochschulgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt und somit auf der Basis eines geregelten Verfahrens – persönliche und fachliche Evaluierung jedes Einzelnen – ab dem Jahr 1992 wieder Neuberufungen erfolgten.

Der Erneuerungsprozess an den ostdeutschen Hochschulen wurde von Beginn an intensiv vom Deutschen Hochschulverband, insbesondere auch von dessen damaligen Präsidenten, Hartmut Schiedermair, sowohl personell als auch materiell unterstützt. Johannes Mehlig baute sehr schnell eine feste Verbindung zum Verband auf und wurde mehrfach in das Präsidium kooptiert, so dass der heutige Präsident Bernhard Kempen zu Recht feststellen konnte: „Herr Professor Mehlig war nach der glücklichen Wiedervereinigung ein unverzichtbarer Ratgeber des Deutschen Hochschulverbandes.“

Johannes Mehlig leistete gerade in den Anfängen der „neuen Zeit“ ein immenses Arbeitspensum, um alle Aufgaben zuverlässig erfüllen zu können. Er und seine Mitstreiter der „Initiativgruppe“ kümmerten sich um die Sicherstellung von Akten, mahnten ständig organisatorische und personelle Konsequenzen im Universitätsbereich an und bemühten sich um die Vorbereitung von freien, akademischen Wahlen. So kann man feststellen, dass nach einem schmerzhaften Prozess – und bei allen Unzulänglichkeiten, die nun einmal Menschenwerk eigen sind – an der Martin-Luther-Universität wieder akademische Freiheit herrscht, wenn auch, was Johannes Mehlig immer wieder bedauert hat, es nicht gelungen ist, das von ihm zeitlebens so hochgehaltene Humboldtsche Bildungsideal vollständig wiederherzustellen. Diese Aufgabe bleibt uns als sein Vermächtnis erhalten.

Die Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg wird Johannes Mehlig, diesem unbestechlichen Verfechter einer freiheitlichen und wahrheitsverpflichteten Wissenschaft, ein ehrendes Andenken bewahren!

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