„Gute Arbeit in der Wissenschaft“ - Interview zur neuen Leitlinie

02.03.2016 von Corinna Bertz in Hochschulpolitik, Campus
Seit einer Woche ist die neue Leitlinie „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ an der Universität Halle in Kraft. In dem Papier bekennt sich die Uni zu planungssicheren Karrierewegen und definiert Mindeststandards für Beschäftigungsverhältnisse. Über Inhalte, Anlass und die Bedeutung der Leitlinie sprechen Prof. Dr. Michael Bron, Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs und Personalratsvorsitzender Bertolt Marquardt im Interview.
Ein großer Teil der wissenschaftlichen Mitarbeiter hangelt sich an Universitäten von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Mit der neuen Leitlinie soll dem Trend zu immer kürzer werdenden Vertragslaufzeiten entgegen gesteuert werden. (Zeichnung: Oliver Weiss)
Ein großer Teil der wissenschaftlichen Mitarbeiter hangelt sich an Universitäten von einem befristeten Vertrag zum nächsten. Mit der neuen Leitlinie soll dem Trend zu immer kürzer werdenden Vertragslaufzeiten entgegen gesteuert werden. (Zeichnung: Oliver Weiss)

Die Leitlinie trägt den Titel „Gute Arbeit in der Wissenschaft“. Womit befasst sie sich genau? Michael Bron: In den letzten Jahren ist es zu einer zunehmenden Prekarisierung der Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft gekommen – durch mangelnde Perspektiven für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und immer kürzere Laufzeiten der Arbeitsverträge. Hier gilt es gegenzusteuern. Mit Hilfe der Leitlinie sollen Beschäftigungsverhältnisse in der Wissenschaft so gestaltet werden, dass sie der Wissenschaft und den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dienen. Bertolt Marquardt: Im ersten Teil gibt die Leitlinie Rahmenbedingungen vor, die künftig für die Beschäftigungsverhältnisse gelten. Im zweiten Teil werden die Aufgaben benannt, die etwa in den Bereichen Personalentwicklung und –planung, Gleichstellung und Familienfreundlichkeit in die Praxis umzusetzen sind.

Dr. Bertolt Marquardt (links) und Prof. Dr. Michael Bron im Interview
Dr. Bertolt Marquardt (links) und Prof. Dr. Michael Bron im Interview (Foto: C. Bertz)

In dem Papier steht, dass wissenschaftlichen Mitarbeitern planungssichere Karrierewege und attraktive Berufsperspektiven geboten werden sollen. Wie kann die Uni Halle das erreichen? Bron: Zum einen durch die festgeschriebene Laufzeit der Arbeitsverträge. Demnach muss Promovierenden, deren Stelle durch den Universitätshaushalt finanziert wird, künftig ein Arbeitsvertrag über die Laufzeit von drei Jahren angeboten werden. Da müssen wir konsequent sein und dafür werde ich mich auch einsetzen. Außerdem brauchen wir verpflichtende Betreuungsvereinbarungen und müssen dafür die Professorinnen und Professoren in die Pflicht nehmen. Auch die Weiterbildungs- und Qualifikationsangebote für das wissenschaftlich arbeitende Personal tragen dazu bei. Marquardt: Die Personalentwicklung wird ein großes Aufgabenfeld sein. Für die Beschäftigten in Qualifikationsstellen ist künftig genau festzulegen, wie und wo die Arbeitsaufgaben verortet sind. Bron: In der Leitlinie ist jetzt klar geregelt, dass mindestens 50 Prozent der Arbeitszeit von Promovierenden der eigenen Qualifikation dienen muss. Denn die Prekarisierung in der Wissenschaft findet auch dadurch statt, dass Promovierende und Postdoktoranden gar nicht dazu kommen, sich ihrem Qualifikationsziel zu nähern, weil sie mit anderen Arbeitsaufgaben belastet sind.

Welche Perspektiven kann die Universität den Postdoktoranden bieten? Bron: Es gibt nur eine beschränkte Zahl an Mittelbaustellen und wir können nur in diesem sehr begrenzten Umfang verlässliche Karrierewege bieten. Aber wir müssen die Perspektiven klar aufzeigen – selbst wenn sie negativ sein sollten und jemand nach der Promotion nicht hier bleiben kann. Wir wollen Promovenden und Postdoktoranden künftig auch über die wissenschaftliche Karriere hinaus fit machen.

Die Leitlinie geht auf einen Vorschlag zurück, den der Personalrat bereits vor drei Jahren erarbeitet hatte. Wie bewerten Sie das Ergebnis jetzt aus Sicht des Personalrats, Herr Marquardt? Marquardt: Unser Ziel ist nur zum Teil erreicht worden. Wir sind nicht hundert Prozent zufrieden, weil wir gern noch mehr Dinge mit aufgenommen hätten. Es wäre für unsere Begriffe auch besser gewesen, eine Dienstvereinbarung abzuschließen, weil diese verbindlicher ist als eine Leitlinie. Aber wir halten auch die Leitlinie für einen Fortschritt und unterstützen sie deshalb.

Warum wurde keine Dienstvereinbarung geschlossen? Bron: Dieser Beschluss fiel schon vor meiner Zeit als Prorektor. Für eine nicht voll ausfinanzierte Universität ist es natürlich schwerer, die in der Leitlinie geregelten Dinge umzusetzen, als für eine Universität, die weiß, dass sie ihre Stellen zu hundert Prozent besetzen kann. Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen. Solange die Finanzierung unbefriedigend bleibt, werden wir die Beschäftigungsverhältnisse nie vollständig so gestalten können, wie wir uns das wünschen. Das entbindet uns aber dennoch nicht von der Pflicht, alles zu tun, was im Rahmen unserer Möglichkeiten getan werden kann.

Künftig soll eine Ombudskommission darauf achten, dass die Leitlinie an der Universität eingehalten wird. Wie wird sie das umsetzen? Bron: Das ist noch nicht bis ins letzte Detail geklärt. Im Sommersemester sollen jetzt die Kommissionsmitglieder benannt werden. Das Gremium muss dann festlegen, was es tun kann, um die Einhaltung der Leitlinie zu überwachen. Dazu wird die Kommission viel kommunizieren müssen: Mit der Promovierendenvertretung, der Graduiertenakademie und den Postdoktoranden, die noch gar nicht gemeinsam organisiert sind. Spätestens im Herbst soll die Ombudskommission dann ihre Arbeit aufnehmen.

Über das Papier „Gute Arbeit in der Wissenschaft“ wurde bereits im Vorgänger-Rektorat diskutiert. Warum hat es drei Jahre gedauert, die Leitlinie zu beschließen? Bron: Nach dem Wechsel des Rektorats sind noch Stellungnahmen zur Leitlinie aufgetaucht, die zuvor aus Rektoratssicht nicht angemessen berücksichtigt worden sind. Deshalb haben wir uns die Leitlinie nochmal im Detail angeschaut. Zeitliche Verzögerungen gab es auch dadurch, dass sich das Rektorat zunächst noch dringender dem Thema Strukturanpassung widmen musste. Marquardt: Dieser ganze Prozess ist dann überlagert worden durch die Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, die im Dezember vom Bundestag beschlossen wurde. Manche Inhalte der Leitlinie werden jetzt auch durch das Gesetz geregelt, sodass noch ein gesetzlicher Druck hinzukommt. Das macht die Sache nicht einfacher, aber verbindlicher. Künftig wird es auch eine Aufgabe des Personalrats sein, die Einhaltung dieses Gesetzes zu prüfen.

Wird durch das geänderte Wissenschaftszeitvertragsgesetz auch eine Anpassung der Leitlinie notwendig? Marquardt: Aus Sicht des Personalrats nicht. Wir hätten manche Dinge gern noch klarer formuliert. Dass kritisieren wir auch am Wissenschaftszeitvertragsgesetz, in dem bei den Vertragslaufzeiten keine konkreten Zahlen benannt werden. Viele Regeln werden stattdessen an den Qualifikationsphasen festgemacht und das kann zu Rechtsstreitigkeiten führen. An dieser Stelle sind wir in der Leitlinie klarer. Bron: Es ist schwer, rechtliche Regeln so zu gestalten dass sie auch der Wissenschaft nützen. Im ersten Wissenschaftszeitvertragsgesetz wollte man beispielsweise den endlosen Befristungen ein Ende setzen. An unterfinanzierten Universitäten führt das Prinzip 6+6 aber nicht dazu, dass die Wissenschaftler nach den sechs plus sechs Jahren unbefristet angestellt werden, sondern eher dazu, dass sie oft gar nicht mehr beschäftigt werden. Auch beim neuen Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird sich erst noch zeigen, ob es Regelungen enthält, die eine Beschäftigung eher verhindern. Insofern ist es sehr gut, dass wir auch eine Leitlinie haben, die klar und deutlich sagt: Wir wollen die Ausgestaltung der Beschäftigungsverhältnisse an unserer Universität deutlich verbessern und aktiv Wege finden, diesen Fortschritt zu erreichen.

Die Leitlinie als PDF (veröffentlicht am 23. Februar im Amtsblatt der Universität)

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