Geschichte(n) erzählen: Ralf-Torsten Speler schreibt über die Uni – und über sich

23.11.2023 von Katrin Löwe in Varia
30 Jahre lang hat er die Kustodie geleitet, viele Jahre auch dem Archiv vorgestanden und unzählige Gäste durch die Universität geführt. Präsident des Uni-Fördervereins ist er bis heute. „Alles erlebt! Ein halbes Jahrhundert für die Universität“, der Titel des Buchs von Dr. Ralf-Torsten Speler, ist mehr als eine Floskel. Am 29. November stellt er das Werk zur Universitätsgeschichte, die auch seine eigene ist, beim Alumnitreffen vor.
Ralf-Torsten Speler im Jahr 2016 - dieses Foto ist heute auf dem Cover seines Buches zu sehen.
Ralf-Torsten Speler im Jahr 2016 - dieses Foto ist heute auf dem Cover seines Buches zu sehen. (Foto: Michael Deutsch)

Es mögen am Ende eine Reihe von Rahmenbedingungen gewesen sein, die ihm das Mammutwerk überhaupt ermöglicht haben. Dass er, der Sohn eines Kunst- und Antiquitätenhändlers, „mit dem Sammeln groß geworden ist“, wie er selbst sagt. Oder dass der damalige Leiter der Burg Querfurt, wo er nach dem Abitur ein Museums-Volontariat absolvierte, ihn stets angehalten hat, alles ordentlich in Kalendern zu notieren. Die Ordnung und das Sammeln haben Dr. Ralf-Torsten Speler ein Leben lang nicht nur im Beruf begleitet: Immer abends landeten Notizen und Dokumente, die er für wichtig oder bewegend hielt, in einem Barockschrank seines Wohnhauses. Und später dann in Kartons – für jedes Jahr gab es einen neuen Karton – in dem kleinen versteckten Archivzimmer zuhause, das keiner außer ihm betreten durfte. Sämtliche Kalender seit seinem 18. Lebensjahr lagerten darin, 49 Reisetagebücher, unzählige Unterlagen, Briefe, Fotos … Eine Schatzkammer, bis obenhin gefüllt mit Informationen. „Ich konnte aus dem Vollen schöpfen“, sagt der 77-Jährige jedenfalls. Dabei seien seine aufbewahrten Erinnerungen eigentlich nie dafür gedacht gewesen, sie eines Tages in einem Buch zusammenzufassen.

Nun, seit diesem Jahr sind sie gedruckt: 688 Seiten stark ist das im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienene Werk unter dem Titel „Alles erlebt! Ein halbes Jahrhundert für die Universität“. Wenn Ralf-Torsten Speler zu Lesungen oder Besprechungen in eigener Sache unterwegs ist, hat er nun ganz schön zu schleppen: 2,7 Kilo schwerer als sonst ist die Aktentasche dann. Und wer den ehemaligen Uni-Kustos kennt und das eine oder andere Mal mit ihm geplaudert hat, der weiß: Das Buch hätte auch noch deutlich umfangreicher werden können. Kaum jemand hat eine solche Menge von teils Jahrzehnten zurückliegenden Anekdoten parat, jongliert scheinbar mühelos mit Namen und Jahreszahlen aus der persönlichen, aber auch der Kustodie- und überhaupt der Universitätsgeschichte. Allein zwölf Rektoren und eine Rektorin hat Speler bis heute erlebt.

Manches davon hätte auch in der Chronik der Kustodie seinen Platz gefunden, die Speler zu deren 40-jährigem Jubiläum 2019 eigentlich geplant hatte. Auch sie wäre umfangreich geworden, immerhin hat der Kunsthistoriker nicht nur entscheidend zum Aufbau der Kunstsammlungen und des Unimuseums beigetragen, sondern auch 150 Ausstellungen organisiert. Es wäre, räumt er ein, aber etwas anderes gewesen: eine nüchterne Faktensammlung. Dass sein Buch heute darüber hinaus einen Unterhaltungswert hat, geht vor allem auf den ehemaligen Rektor Prof. Dr. Christian Tietje zurück. Er riet beim Kustodie-Jubiläum 2019 spontan dazu, Speler möge doch lieber seine Lebenserinnerungen aufschreiben. Gesagt, getan. Auch das Rektorat habe Wort gehalten, sagt Speler, und sich finanziell beteiligt. Eben weil diese Erinnerungen in ganz wesentlichen Teilen Universitätsgeschichte abbilden, ob vor oder nach 1990.

Und Teile seiner ganz persönlichen Geschichte natürlich. Geboren 1946 und aufgewachsen in Dessau, studierte Speler von 1966 bis 1975 Deutsche Geschichte, Museologie und Kunstgeschichte in Leipzig und Halle. Eine wissenschaftliche Aspirantur hatte er von 1976 bis 1979 am damaligen Fachbereich Kunstgeschichte der MLU inne. Statt als Direktor ins Schloss Mosigkau zu gehen, blieb Speler an der Universität. Er übernahm bis 1982 zunächst die stellvertretende Leitung der Zentralen Kustodie und 1983 schließlich die Leitung. Neben seiner 1981 abgeschlossenen Promotion arbeitete er am Aufbau der Kustodie – nicht immer zur Freude aller Beteiligten, wie er sich erinnert. Damals waren die Kunstwerke über die Universität verstreut, Spelers Aufgabe war es also zunächst, sie wieder „einzusammeln“. Die Reaktionen kamen prompt: „Sie sind ein Kunstpirat!“, hat ihm Uni-Archivar Dr. Heinz Schwabe damals an den Kopf geworfen. Über die Jahre hat Speler die Sammlungen beträchtlich erweitert. Er hat das Kupferstichkabinett zurückgeholt, mehr als 11.000 Grafiken, die zu DDR-Zeiten an die Moritzburg übergeben worden waren. Oder sich an dem erfreut, was Sammler wie der Pflegewissenschaftler Prof. Dr. Johann Behrens oder der Mediziner Dr. Karl Werner Hök der Uni an bemerkenswerter Kunst der Moderne schenkten. Keine dieser Geschichten bleibt ohne Anekdote: An die entsetzte Reaktion seiner Begleiterin auf den Plan, namenhafte Kunstwerke von Picasso, Kokoschka, Dali bis Beuys für die geplante Ausstellung  von Hök nicht mit einem Kunsttransport abholen zu lassen, sondern im Privatauto auf der Rückfahrt von Baden-Württemberg sofort mitzunehmen, erinnert sich Speler noch immer. „Das wäre heute auch unvorstellbar.“

Die Sammlungsgeschichte der Uni ist einer der Schwerpunkte im Buch, die Denkmalgeschichte ihrer Gebäude ein weiterer. Auch der rein museumskundliche Teil wird von Speler erzählt – inklusive der Geschichte dieses mysteriösen Anrufs aus dem DDR-Ministerium für Hoch- und Fachschulwesen, den er 1985 im Glauben an ein internes Telefonat eher kurz angebunden als gewohnt formell annahm. Peinlich war es ihm. Und doch konnte er später zu einem einmonatigen „USA – GDR Collections Management Seminar“ nach Washington fliegen – der Anruf war die Vorbereitung davon. „Das war unfassbar!“, ist im Buch zu lesen. 1989 folge ein stipendienfinanzierter weiterer Aufenthalt in den USA zur Erforschung der Beziehungen zwischen Halle-Dessau und Amerika im 18. Jahrhundert. Damals traf er unter anderem die Tochter von Ronald Reagan.

Überhaupt: Hochrangigen in- und ausländischen Personen ist Speler auch an der Uni oft begegnet – vom ehemaligen deutschen Außenminister Hans-Dietrich Genscher bis hin zur thailändischen Prinzessin Maha Chakri Sirindhorn, dem Präsidenten der Europäischen Kommission Jean-Claude Juncker sowie dem früheren italienischen Ministerpräsidenten und Präsidenten der Europäischen Kommission Roman Prodi. Bundestagspräsidenten und Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth, die auch Mitglied des Kuratoriums der Uni war, hat er an der MLU begrüßt, alle Ministerpräsidenten Sachsen-Anhalts. Am Rande: Das Personenregister am Ende des Buches enthält um die 1.000 Namen.

Das Buch „war eine Mordsarbeit“, sagt Speler heute. Mit vielen geduldigen Mitstreiterinnen und Mitstreitern und ein paar Herzschlagmomenten, die jeder Autor kennt: den Fehlern, die erst nach der Freigabe zum Druck gesehen werden. Zweimal hat Speler die Signale für die Druckmaschinen wieder auf Rot setzen lassen. Pünktlich zur Leipziger Buchmesse war das Werk vollendet. Gewidmet hat er es seinem Vater Kurt Speler und seinem akademischen Ziehvater und Vorgänger als Kustos Prof. Dr. Dr. Hans-Joachim Mrusek.

Gespräch zur Unigeschichte und Lesung in Dessau

Das Buch ist am 29. November bei einem Treffen der Alumni sowie der Freunde und Förderer der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg Anlass für ein Gespräch des Autors mit Altrektor Prof. Dr. Udo Sträter. Beide lassen – auch anhand zahlreicher Bilder – 30 Jahre Universitätsgeschichte Revue passieren. Die Veranstaltung ist bereits ausgebucht.

Die nächste Buchvorstellung von Ralf-Torsten Speler findet in Dessau-Roßlau statt. Schwerpunkt dort werden seine Forschungen zum Dessau-Wörlitzer Gartenreich und seine Familiengeschichte in Anhalt sein. Speler ist auch Mitglied der Dessau-Wörlitz-Kommission am Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) an der Universität Halle. Der Termin:

Dienstag, 5. Dezember 2023, 19 Uhr
Stadtarchiv Dessau-Roßlau
in Zusammenarbeit mit dem Archivverbund Dessau in Verbindung mit dem Verein für Anhaltische Landeskunde e. V

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Kommentare

  • Regina Mohs am 07.12.2023 21:44

    Liebe Grüße Regina