Karriereknick in 1:30?

06.07.2012 von Carsten Heckmann in Varia
Frauen sind besser. Für das Klima. Zumindest, was die Ernährung angeht. So oder ähnlich, stets zugespitzt und oft prominent platziert, erfuhren bundesweit Leser, Hörer und Zuschauer im April von einem Forschungsergebnis zweier MLU-Wissenschaftler. Einer von ihnen ist Doktorand Toni Meier. Seine Karriere steht jetzt auf dem Spiel – wenn man der These eines bekannten Medienwissenschaftlers Glauben schenkt. Im Interview mit scientia halensis werten der Politikwissenschaftler Everhard Holtmann und der Agrarwissenschaftler Olaf Christen den Medienhype aus – und geben Entwarnung.
Everhard Holtmann (l.) und Olaf Christen plädieren für einen gelassenen Umgang mit Journalisten.
Everhard Holtmann (l.) und Olaf Christen plädieren für einen gelassenen Umgang mit Journalisten. (Foto: Maike Glöckner)

Herr Professor Holtmann, Sie sind ein Medienprofi, geben regelmäßig Interviews. Können Sie sich noch an Ihr erstes Interview erinnern?

Holtmann: Nun, zunächst war ich vor meiner wissenschaftlichen Karriere selbst als Journalist tätig und habe Interviews geführt. Aber ich kann mich gut an das erste erwähnenswerte Interview erinnern, bei dem ich der Interviewte war. Das war 1998 nach den Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, als die DVU mit einem Knalleffekt in den Landtag einzog.

Seitdem sind Sie ein sehr gefragter Interviewpartner. Was macht sie so beliebt?

Holtmann: Ich will mal versuchen, es nüchtern einzuordnen, ohne in Selbstlob zu verfallen. Als Politikwissenschaftler hat man per se eine hohe Nachfragefrequenz. Das liegt daran, dass die Politikwissenschaft viele Lebens- und Forschungsbereiche betrifft. Und in der Politik hat alles permanent Erklärungsbedarf. Natürlich muss man wissen, dass man sich in einer Sphäre bewegt, in der fünf Minuten eine Marathon-Zeit sind. Sicherlich ist es vonnöten, dass man versucht, sich klar und kurz auszudrücken, auch zu vereinfachen. Wobei das nicht bedeuten darf, dass man Sachverhalte verzerrt. Oder dass man sich bestimmten Mediengepflogenheiten anpasst. Sich zum Beispiel eines vermeintlich fetzigen Stils bedient. Die wissenschaftliche Aussage dürfen wir Wissenschaftler nicht verwässern. Eine differenzierte Position muss man auch dementsprechend vermitteln. Wir können nur darauf hoffen, und aus meiner Erfahrung ist diese Hoffnung berechtigt, dass die Journalisten ihrerseits professionelle Maßstäbe an ihre Arbeit anlegen.

Nun befragt man Sie häufig als Experten zu einer aktuellen politischen Entwicklung. Stört es Sie, wenn Forschungsergebnisse weniger gefragt sind?

Holtmann: In der Tat ist die Nachfrage zum Kerngeschäft Forschung und Lehre geringer, wobei wir auch dort zum Beispiel mit unserem Sonderforschungsbereich zu Transformationsprozessen Themen bieten, für die sich Journalisten interessieren. Aber es ist dann schon eine Art Rollentausch, wenn ich als Forschender befragt werde. Wenn ich über meine eigenen Studien etwas sage, dann berichte ich, dann schätze ich sie nicht selbst analytisch ein.

Herr Professor Christen, Sie und Ihr Doktorand Toni Meier haben vor ein paar Wochen bundesweit für mediales Aufsehen gesorgt. „Frauen ernähren sich klimaschonender“ war die häufigste zu lesende Schlagzeile zu Ihren Studienergebnissen, zum Teil auf Titelseiten. Eine gewaltige Resonanz gab es auch in Hörfunk und Fernsehen. Wie haben Sie die Tage nach der MLU-Pressemitteilung erlebt?

Christen: Wir haben geschaut, in welchen Medien das erschienen ist. Und waren erstaunt. Zwar hatten wir schon vorher Pressearbeit zu anderen Themen gemacht, aber da war die Resonanz deutlich geringer. Interessant war, dass in vielen Berichten unsere Originalarbeit genannt wurde, mindestens die wissenschaftliche Zeitschrift, in der sie erschienen ist.Ich bin gespannt, wie sich das auf die Zitate des Artikels im wissenschaftlichen Bereich auswirkt. Es gab zumindest auch sehr schnell ernsthafte Nachfragen aus Kollegenkreisen aus ganz Deutschland.Überraschend waren zudem die Reaktionen von Lesern in den Online-Medien. Es ist schon erstaunlich, was Menschen dort in Foren schreiben, wenn sie sich ihrer Anonymität sicher sind. Es war wohl so, dass diese Gegenüberstellung Frau-Mann viele Leute gestört hat.

Jura-Professor Kai Bussmann durfte sich kürzlich einiges anhören vom Präsidenten der Bundesärztekammer, nachdem das Thema „Fangprämien“ für Patienten hochgekocht war – als Resultat einer Studie, die er für den Spitzenverband der Krankenkassen durchgeführt hatte. Haben Sie auch schon Erfahrungen mit harschen Reaktionen gemacht, Herr Holtmann?

Holtmann: Für mich kann ich sagen: Es gab solche Reaktionen dann und wann, aber insgesamt sind sie zu vernachlässigen. Manchmal erreichen mich anonyme E-Mails, die ignoriere ich aber.

Herr Christen, in einem Blog hieß es, Sie und Herr Meier hätten in Ihrer Studie „ein paar schlichte Glaubenssätze“ aufeinander getürmt und das „dank Zuhilfenahme eines Rechenschiebers“ Wissenschaft genannt. Andernorts ist unter der Überschrift „Wahnsinn mit Methode“ zu lesen: „Denkt man das Argument von Meier und Christen logisch zu Ende, dann müsste ihr oberstes Ziel eigentlich darin bestehen, eine weitere Belastung der nachhaltigen Entwicklung der Erde durch ein Verbot der Fortpflanzung positiv zu beeinflussen, da mit einem Fortpflanzungsverbot unweigerlich eine Reduzierung der Umweltbelastung, wie sie Nahrungsmittelproduktion und Nahrungsaufnahme nun einmal darstellen, einhergeht.“ Starker Tobak.

Christen: In der Tat. Natürlich hat unsere Arbeit Schwächen, wie jede Arbeit. Die sind den Bloggern und den Leuten in den Foren aber interessanterweise gar nicht aufgefallen. Die Kritik bezieht sich häufig auf die Tatsache, dass wir überhaupt so etwas gemacht haben. Methodisch hätten wir natürlich andere Vergleiche anstellen können. Jung-alt zum Beispiel. Wir haben uns eben für Mann-Frau entschieden. Bestimmte Schlussfolgerungen, die daraus gezogen wurden, sind natürlich absurd. Uns ging es darum, dass es eine Variabilität gibt. Ob man die dann tatsächlich nutzen kann im Hinblick auf unterschiedliche Klimabilanzen, da sind wir selbst in der Studie sehr vorsichtig. Viele Leute haben das ein Stück weiter gedacht. Nicht wir.

Holtmann: Ich muss sagen, solche Diskussionen im Internet überschreiten sehr schnell die Grenzen der Seriosität. Die Dimension des Populären ist nicht das Problem, im Gegenteil. Aber es wird sehr schnell populistisch und tendenziös. Dem muss ich mich als Wissenschaftler nicht aussetzen. Ich werde mich daran auch in Zukunft nicht beteiligen. Wissenschaftliche Auseinandersetzungen führe ich gern anders.

Christen: An solchen Foren beteilige ich mich auch nicht, da bin ich völlig d’accord. Ich nutze allerdings Facebook, und zwar um Studierende über aktuelle Entwicklungen in meinem Fachgebiet auf dem Laufenden zu halten. Natürlich stößt man dann auch Diskussionen an, aber das hält sich in Grenzen. Für mich ist das eine Art Erweiterung von Stud-IP.

Die Medienresonanz und die Reaktionen der Mediennutzer können also heftig ausfallen. Wie sieht es mit den Reaktionen der Kollegen aus? Der renommierte Medienwissenschaftler Norbert Bolz von der TU Berlin behauptet, es gelte als unfein, sich auf das Niveau von Laien zu begeben. Wer es dennoch tue, werde geschnitten. Er rät jungen Wissenschaftlern, die Massenmedien zu meiden. Stimmen Sie ihm zu? Ist jetzt die wissenschaftlichen Karriere Toni Meiers gefährdet?

Christen: Ich glaube nicht. Er hat eine Reihe von seriösen Anfragen erhalten. Auch ernsthafte Anfragen für die Zeit nach der Promotion. Ich denke, die Gefahr könnte entstehen, wenn man als Doktorand alle halbe Jahre mit Themen im Gespräch ist, die in den Medien in dieser Form breitgetreten werden. Aber wenn man mit einer Kernthese einer interessanten Studie in die Öffentlichkeit tritt, muss man zwar mit kritischen Stimmen rechnen, kann aber vor allem sich und sein Thema auch mal über den engen Kollegenkreis hinaus bekannt machen. Insofern denke ich, Toni Meier dürfte das Ganze eher genutzt haben. Ich selbst habe in meiner Zeit als Assistent viel journalistisch geschrieben, unter anderem für die FAZ und den Tagesspiegel. Da war vielen bewusst, dass ich dort auch als Wissenschaftler schreibe, wenn auch nicht über meine eigenen Forschungsthemen. Und das hat mir nie geschadet.

Herr Holtmann, Sie haben gesagt, vereinfachen müsse man im Gespräch mit Journalisten. Laut Norbert Bolz kostet Sie genau das Ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit.

Holtmann: Ich wäre gespannt, auf welche empirische Basis sich Herr Bolz hier stützt. Natürlich ist eine gewisse Vereinfachung notwendig, aber die kann man unter Wahrung der wissenschaftlichen Sorgfalt vornehmen. Ich gebe zu, dass einem das in Live-Interviews manchmal nicht hundertprozentig gelingt. Aber wenn man es sich fest vornimmt, schafft man es in der Regel, nicht die Sensationslust zu bedienen oder einer verzerrenden Dramaturgie zu folgen. Ich sehe nicht, dass man sich zur Magd einer falsch verstandenen Medienerwartung machen müsste. Auch die Angst vor Reputationsverlust kann ich nicht nachvollziehen, auch wenn es da das ein oder andere Beispiel geben mag. Zudem sehe ich auch unsere gesellschaftliche Verantwortung, die wissenschaftlichen Themen der Öffentlichkeit vorzustellen.

Christen: Das möchte ich gerne unterstreichen. In unserem fachlichen Umfeld, beispielsweise in der Gesellschaft für Pflanzenbauwissenschaften, deren Präsident ich über mehrere Jahre war, ist es immer wieder ein Thema, dass es uns zu selten gelingt, mit unseren Themen in die Medien zu kommen. Da sind wir soweit, dass wir lieber mal eine knackige Formulierung wählen. Die muss ja nicht falsch sein. Das da einer sagt „um Gottes Willen“, das erlebe ich selten.

Haben Sie beide es vielleicht auch leichter, weil Sie mit Ihren Themen nah am Alltag der Menschen sind?

Holtmann: Das glaube ich nicht. Man kann auch, wie geschehen, als Mathematiker ein Buch über Glück schreiben, das sich gut verkauft. Selbst Wissenschaftler, die in hohem Maße mit abstrakten Formeln arbeiten, können wahrgenommen werden.

Gemessen wird man als Wissenschaftler allerdings ausschließlich an wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Müsste Öffentlichkeitsarbeit eine Rolle spielen?

Holtmann: Nicht im Sinne eines harten Kriteriums. Da sollten die fachliche Qualifikation, persönliche Eignung und die Erfahrung in Forschung und Lehre zählen. Darüber hinaus kann das ein gern genommenes zusätzliches Attribut sein.

Christen: Man muss da wirklich aufpassen. Es gibt Wissenschaftler, die immer wieder in den Medien auftauchen. Wenn man sich aber ansieht, was sie wissenschaftlich geleistet haben, dann ist das teilweise erschütternd wenig. Und das darf nicht sein.

Sie haben beide Erfahrungen aus der Perspektive eines Journalisten und eines Wissenschaftlers gemacht. Welche Tipps können Sie jungen Wissenschaftlern geben, die mit ihren Themen den Weg in die Medien gehren möchten oder von Journalisten kontaktiert werden?

Holtmann: Es ist zum Beispiel üblich, dass man sich ein Interview vor der Veröffentlichung nochmal vorlegen lässt. Das ist eine für beide Seiten sehr dienliche Verfahrensweise. Auf der einen Seite können wir vielleicht manche salopp dahingesprochene Formulierung noch begradigen, auf der anderen Seite können wir präzisieren, ergänzen, korrigieren – was dem Journalisten hilft. Und ein grundsätzliches Interesse, Dinge zu vermitteln, sollte gepaart sein mit Gründlichkeit, Differenzierung, methodischer Sauberkeit.Aber zur Ehrenrettung der allermeisten Journalisten muss ich sagen: Sie machen es einem nicht fürchterlich schwer, sie respektieren diese Bedingungen.

Christen: Der Aufwand ist natürlich beträchtlich, gerade bei Fernsehgeschichten. Da kann schnell mal ein ganzer Nachmittag weg sein für die berühmten 1:30 Minuten am Abend. Das muss man auch wissen. Aber ansonsten sei den jungen Leuten gesagt: keine Scheu!

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