Eier wie Augen

17.04.2014 von Anja Falgowski in Varia
Der einfache Vermessungsbeamte Max Schönwetter gilt als Begründer der Oologie, der Vogeleierkunde. Seine Sammlung ist eine der bedeutendsten weltweit. Im letzten Jahr wurde sie zum „National wertvollen Kulturgut“ ernannt und darf nun nicht mehr außer Landes gebracht werden. Sie wird im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der Martin-Luther-Universität in Halle aufbewahrt.
Frank Steinheimer mit der Eier-Sammlung von Max Schönwetter
Frank Steinheimer mit der Eier-Sammlung von Max Schönwetter (Foto: Michael Deutsch)

Man nehme einen Zahnarztbohrer und dringe damit sanft in die Eierschale ein. Anschließend schiebe man ein Glasröhrchen in das Loch, puste kräftig hinein und ertrage die ausspritzenden Innereien mit Gelassenheit. Ist das Ei leer, überklebe man das Löchlein möglichst mit einem kleinen Stück Papier, beschrifte die Schale mit Name, Fundort und Datum, und fertig ist das Sammlerobjekt. So wie heute Briefmarkensammeln ein beliebtes Hobby ist, war es früher mal das Horten von Vogeleiern. Dem hatte sich auch Max Schönwetter verschrieben.

Kein Wissenschaftler, sondern ein einfacher Vermessungsbeamter aus Gotha, keine Frau, keine Kinder. All seine Zeit und sein Geld steckte er 60 Jahre lang in Vogeleier. Gleichzeitig dokumentierte er seine Erkenntnisse: Länge, Breite, Schalendicke, Schalengewicht, Eigewicht – alles listete er akribisch in Tabellen auf. Veröffentlichte anschließend sein Wissen in vier Bänden, schuf das Handbuch der Oologie, als deren Begründer man ihn bezeichnen kann. Und starb 1961 über dem Buch, könnte man sagen. Zuvor dämmerte ihm glücklicherweise noch, dass seine Sammlung im Stadtnaturkundemuseum Gotha fehl am Platze war.

Er nahm Kontakt mit der nächstliegenden Universität auf, das war damals die hallesche, und bot seinen Schatz an. So kam es, dass im Institut für Biologie und Zoologie im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen der MLU heute eine der drei umfangreichsten Eiersammlungen der Welt und die größte in Deutschland zu sehen ist. Wobei „zu sehen“ es nicht ganz trifft. Die Eier müssen vor Licht geschützt werden, sonst würden sie innerhalb weniger Monate ihre Farbe verlieren. Das wäre ein enormer wissenschaftlicher Verlust, und deshalb liegen sie in hölzernen Vitrinen und Schränken, zum Teil sind es noch die Schönwetterschen Originalmöbel.

Ein Ei im Wert von 120.000 Euro

Die Allgemeinheit kommt höchst selten in den Genuss der Betrachtung, die Wissenschaft hingegen profitiert von der Sammlung. „Mehr als 20 000 Eier liegen bei uns. Von 3839 Arten und Unterarten.“ Dr. Frank Steinheimer ist Leiter des Zentralmagazins Naturwissenschaftlicher Sammlungen. Als Ornithologe können ihn die Vogeleier natürlich nicht kalt lassen. Von 10 000 Vogelarten, sagt er, seien nur 80 Prozent der Gelege bekannt. Und von diesen wiederum sei die Hälfte in Halle dank Schönwetter nachweisbar. Das ist einer der Gründe, weshalb die Sammlung so bedeutend ist: „Ein Nest gilt als Nachweis einer Art, was wichtig ist für die Kartierung. Außerdem kann mit Hilfe der DNA Stammbaumforschung betrieben werden.“

Und schließlich, sagt Steinheimer, könnten anhand der Eier auch Klimaveränderungen bewiesen werden. Die Erwärmung zeige sich zum Beispiel daran, dass der Kiebitz heute zeitiger im Jahr Eierlege als früher. Schönwetter hatte ein Näschen für seine Raritäten. Er kaufte früh Eier, von denen er wusste, dass sie später selten werden würden. Er war seinerzeit einer der wenigen, die ihren steigenden Wert erkannten. Ein Beispiel: Ein Ei des heute ausgestorbenen Riesenalks hatte damals den Wert eines Kleinwagens. „Heute würde es 120 000 Euro kosten“, sagt Frank Steinheimer.

Wenn Bienenelfen Eier legen

Auch für dieses Gespür also sei Schönwetter dank. In Bonn erwarb er 1931 das Ei des Syrischen Straußes, eines der größten der Sammlung. Auch dieser Vogel ist inzwischen ausgestorben. Den letzten seiner Art hat übrigens kein Geringerer als Laurence von Arabien gesichtet. Auch er war passionierter Sammler und hat auf seinen Kriegskarten die von ihm aufgespürten Gelege eingezeichnet. Die größten Exemplare in Halle stammen von Straußen, von jeder Art gibt es eines. Von der größten der Welt, dem Madagaskar-Strauß, allerdings nur einen Abguss.

Über 100 Hühnereier würden in ein einziges dieses riesigen, 3,50 Körperhöhe messenden Vogels passen. Am winzigsten wiederum sind die Hinterlassenschaften der Kolibris. Die Bienenelfe, 1,6 Gramm schwer, legt Eier von maximal 8 Millimetern Länge. Überhaupt kann man sich über die Spielarten der Natur auch in der Oologie schwer wundern. Es gibt spitze, runde, dicke Eier mit Flecken, Sprenkeln, matt, glänzend. Die der Steißhühner sehen aus wie mit Klarlack überzogen. Es gibt sie in blau, grau, hellbraun. Das Glänzen hat vermutlich Tarnungsgründe. Dadurch sehen sie aus wie Augen und schrecken Fressfeinde ab.

Und dann die Exemplare der Trottellume! Nicht nur, dass jedes einzelne anders gezeichnet ist und damit von der Mama unter vielen wiedererkannt wird. Es hat zudem eine konische Form, die dafür sorgt, dass das kostbare Stück nicht vom Felsen rollt in einem unbeaufsichtigten Moment. Wer nun auf die Idee kommt, vom Briefmarken zum Vogeleiersammeln zu wechseln, sei hiermit gewarnt: Das ist heute streng verboten. Ausnahmegenehmigungen sind nur sehr schwer zu bekommen. Aber damit kann als sicher gelten, dass die Bedeutung der Schönwetter-Sammlung in Zukunft noch steigen wird.

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