Erst Uni, dann unaufhaltsam: Anne Linnenbrüggers Weg zu L’Oréal

04.10.2023 von Kathrin Wöhler in Personalia, Alumni
Es gibt mehrere Treibstoffe in Anne Linnenbrüggers Leben. Die Sorge um die Welt von morgen. Ihre drei Kinder. Die Natur, Musik, ihr Ärger über Ungleichheit. Und Kaffee. „Ohne geht wirklich nichts.“ Die MLU-Alumna leitet die Nachhaltigkeitskommunikation von L’Oréal DACH in Vollzeit und erzählt hier ihre Geschichte. Bitte anschnallen, es wird turbulent.
Anne Linnenbrügger beim Greentech Festival in Berlin. Die MLU-Alumna leitet die Nachhaltigkeitskommunikation von L’Oréal.
Anne Linnenbrügger beim Greentech Festival in Berlin. Die MLU-Alumna leitet die Nachhaltigkeitskommunikation von L’Oréal. (Foto: T. Rafalzyk/L’Oréal DACH)

„Gern Ännie und du“, bietet Anne Linnenbrügger an. So bleibt sie dann auch im Interview: klar und direkt, warmherzig und frohgemut. Bei einer Karrierefrau ohne Master und dreifachen Mutter ohne Teilzeit würde mancher wohl mit verbissenem Ehrgeiz rechnen. Aber Anne Linnenbrügger will in kein Schema passen. Die 39-Jährige strahlt vor ihrer Blumentapete im Homeoffice etwas zutiefst Angekommenes aus: „Ich kann jetzt alles verbinden, was mir wichtig ist.“

Seit Mai 2022 kümmert sie sich darum, dass Bemühungen, die L’Oréal Österreich Deutschland Schweiz auf ein nachhaltiges Wirtschaften ausrichtet, im Unternehmen und in der Öffentlichkeit bekannt werden. „Ich erkläre natürlich, wie L’Oréal seinen CO2-Ausstoß reduziert, aber da bleibt das Unternehmen nicht stehen.“ Die gebürtige Thüringerin spricht von planetaren Belastungsgrenzen, nachgelagerten Lieferketten und Produkten, die den CO2-Abdruck der Kunden senken. Lehnt sich nach vorn, spricht engagiert, ohne zu bedrängen. „Zum Beispiel unser Shampoo: Wir verändern es so, dass es die Spülung schon enthält und sich auch noch schneller auswäscht. Das spart kundenseitig Zeit und Wasser, aber eben auch CO2.“

Anne Linnenbrügger arbeitet am Deutschlandsitz des Kosmetikkonzerns in Düsseldorf. L’Oréal hatte sie 2022 von der Metro AG abgeworben. Was sich in ihrer Biografie wie die rasche Fahrt mit einem Aufzug liest, entspricht tatsächlich eher dem Bild einer Frau, die sich über einen Flaschenzug selbst hochhievt. Ungesichert. Und doch: Angst war nie im Spiel. Eher die Erfahrung einer Ostdeutschen, die mit berufstätigen Eltern aufwächst und eine Kinderbetreuung für einen Segen hält, die „nicht stur um 16.30 Uhr die Tore schließt.“

Schon als Schülerin verlässt Anne Linnenbrügger scheinbar vorgezeichnete Wege. Der Tochter zweier Maschinenbauingenieure geht der Sinn für Mathematik und Physik völlig ab – „nichts liegt mir ferner“–, sie tanzt, liest viel und lebt für Sprachen. Mit 16 wechselt sie an eine Schule in den USA, saugt die neuen Erfahrungen auf. Zurück in Zeulenroda dann Abitur und Lehre zur Reisekauffrau. In der Presseabteilung von TUI, einer Ausbildungsstation, entdeckt sie für sich die Wirkgewalt von Sprache.

2006, mit 22 Jahren, immatrikuliert sie sich an der Universität Halle und studiert Medien- und Kommunikationswissenschaften sowie Berufsorientierte Linguistik im interkulturellen Kontext. Es beginnt eine Zeit, in der Anne Linnenbrügger intellektuellen Input mit der ganz großen Kelle schöpfen kann. „Ich habe gelernt, Sprache auseinanderzunehmen, und verstanden, was Sprache kann: Je nachdem, welche Worte ich wähle, kann sie verbinden oder vernichten. Sprache hat Macht. Wir sollten uns deshalb der Verantwortung bewusst sein, welche Art von Sprache wir wählen.“ Sie liebt die Stadt und ihre Universität, findet ein geistiges Zuhause, das sich vom modernen Mitteldeutschen Multimediazentrum an der Saale bis hin zur alten Villa in der Heinrich-und-Thomas-Mann-Straße erstreckt, in der ihr Indogermanik-Seminar stattfindet. „Jede Parkettdiele hat dort geknarzt, niemand konnte den Hörsaal lautlos betreten.“

Besonders ist Anne Linnenbrügger ein Projekt zum „Shortmoves Kurzfilmfestival 2010“ in Erinnerung geblieben. „Wir durften ein halbes Jahr lang gemeinsam mit den Gründern die Veranstaltung vorbereiten – was für ein Vertrauensvorschuss! Die Uni hat uns an der langen Leine gelassen, sodass eine große Praxisnähe entstand. Wir konnten zwei Kinos bespielen und alles war ausverkauft. Diese einzigartige Erfahrung hat uns als Studiengang noch mehr zusammengeschweißt.“

Mitten im Studium wird sie schwanger. Ungeplant. Baby Clara stellt Anne Linnenbrüggers Leben auf den Kopf. Schlaflose Nächte statt Party bis um fünf, eine alleinerziehende Mutter unter lauter ohnehin jüngeren, kinderlosen Kommilitoninnen und Kommilitonen. „Es war härter als alles davor.“ Doch es gibt Hilfe: Beratung, finanzielle Unterstützung für die Erstausstattung und Mitstudierende, die ihr ermöglichen, zwei Wochen nach der Geburt eine Seminararbeit zu verteidigen.

Mit einem Bachelor in der Tasche verlässt sie die Uni. Es geht auch ums Geld, natürlich, ein Kind passt kaum in ein studentisches Budget. Statt Masterstudium nun also Bewerbungsrunden – und die Erkenntnis: Berufseinsteigerin mit Kind, das ist 2011 für Personaler in etwa so verführerisch wie Seilspringen auf einem Nagelbrett. „Es war unfassbar frustrierend. Man sagte mir, der Job sei zu anstrengend, nicht machbar mit Kind. Ich fand das übergriffig.“ Der Ärger über diese Erfahrung vibriert in Anne Linnenbrüggers Stimme. „Also habe ich meine Tochter irgendwann verschwiegen.“

Das klappt. Für die Stelle in der Öffentlichkeitsarbeit beim Handelsverband Nordrhein-Westfalen siedelt sie 2011 nach Düsseldorf um. „Mein Studium floss direkt in meine Arbeit ein. Jetzt kamen mir die Seminare zugute, in denen ich mich mit HTML und Content-Management-Systemen beschäftigt habe.“ Sie schreibt Pressemeldungen, wie sie es an der Uni gelernt hat – „knackig statt episch“, führt Twitter als Kommunikationskanal ein. Sie lernt die Rolle von Lobbyarbeit kennen, erklärt politischen Entscheidern, wie das Leben im Einzelhandel aussieht und wie verkaufsoffene Sonntage die Innenstädte beleben können.

Nach fünf Jahren packt die inzwischen 34-jährige und nun zweifache Mutter die Unruhe. Obwohl immer in Volllast unterwegs, sucht etwas in ihr das Neue. Mit der Hotelsuche Trivago weht der Spirit eines Startups durch ihre Vita, „wobei das Unternehmen damals schon keins mehr war.“ Sie reist jetzt mehr, begleitet Konferenzen, „aber es war nicht der perfekte Fit, denn: War ein schöner Tag mit euch, ich gehe jetzt nach Hause zu meiner Familie? – So lebten zu der Zeit dort nicht viele.“

Also stöbert Anne Linnenbrügger in den Stellenanzeigen, findet ein Gesuch der Metro AG als Pressesprecherin für Food and Sustainability. „Nachhaltiges Leben – das war mein Thema, seit ich Kinder hatte! Ich habe viel Herzblut in die Bewerbung gesteckt, hatte auch ein gutes Gespräch – um dann im Fahrstuhl festzustellen, dass mein Lippenstift an den Zähnen hing.“ Anne Linnenbrügger lacht. „Ich habe den Job  dennoch bekommen und eine steile Lernkurve hingelegt.“ Sie betritt die Großhandelslandschaft, arbeitet sich tief in die Fragen der Nachhaltigkeit ein.

Kind Nummer drei, Greta, wird 2020 in ein familienfreundliches Umfeld geboren. Die Metro AG betreibt, wie auch L’Oréal, eigene Kitas. Man möchte gut ausgebildete Frauen auch über die Elternzeit hinaus halten. Anne Linnenbrügger hält ihre Schlagzahl bei, spürt aber in der neuen Nachbarschaft in einem Düsseldorfer Vorort auch das Befremden anderer Eltern. „Drei Kinder und Vollzeit – warum? Ich habe manchmal geantwortet: Das macht sich auf den Weihnachtskarten einfach schön.“ Doch ihr Mann und sie haben auch Hilfe: Zwei ältere Damen aus der Nachbarschaft springen nur zu gern ein, wenn es mal zeitlich eng wird. 

Anne Linnenbrügger zeigt mit Stolz, dass volle Berufstätigkeit und Karriere mit Mutterschaft einhergehen können. „Ich liebe meinen Job, er macht viel von mir aus. Es braucht von beiden Seiten ein Maximum an Flexibilität, ob im Büro oder Zuhause. Deshalb setze ich mich für Frauen und Gleichberechtigung ein.“ Sie betreut für L’Oréal das Programm „For Women in Science“ in Deutschland, das junge Forscherinnen durch finanzielle Zuwendungen dabei unterstützt, mehr Zeit für ihre wissenschaftliche Arbeit und internationale Mobilität zu gewinnen.

Der Gedanke an dieses Projekt führt sie zurück zu ihrer Alma Mater in Halle. „Ich wünschte, ich hätte noch mehr gelernt von dem, was mich erwartet. Zum Beispiel: Welches Jahresgehalt kann ich verlangen – und wie verhandele ich? Das habe ich erst gelernt, als mir eine ehemalige Kollegin ihr Gehalt verriet: 50 Prozent über meinem. Das passiert mir seither nicht mehr, aber mit Sicherheit noch immer tagtäglich zigfach in Deutschland.“

Mehr Frauen in der Wissenschaft, mehr Gleichheit bei Chancen und Bezahlung: Für Anne Linnenbrügger dürfte der Treibstoff nicht ausgehen.

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