Wenn Zweifel überhand nehmen

16.07.2013 von Corinna Bertz in Studium und Lehre, Campus
Fast jeder Studierende hat es schon einmal getan: sein Studium in Frage gestellt. Während bei vielen die Motivation nur kurzzeitig sinkt, sind die Zweifel an der eigenen Studienwahl bei manchen so stark, dass sie die Universität ohne Abschluss verlassen. Den „Studienzweiflern“, die nicht zwingend zu Studienabbrechern werden, widmet sich das Projekt „Zweifel am Studium“. Gemeinsam mit der Arbeitsagentur Halle hat das Career Center der MLU seit Herbst 2011 160 Studienzweifler auf ihrem Weg begleitet.
Zweifel gehören zum Studium dazu.
Zweifel gehören zum Studium dazu. (Foto: fotolia/ wavebreakmediaMicro)

Mit einer eher vagen Vorstellung vom Studienfach und der beruflichen Zukunft haben viele mit 18 oder 19 ihr Studienfach gewählt. Und jetzt, nach drei Semestern voller Formeln, Hausarbeiten oder abstrakter Diskussionen setzen oft die Zweifel ein. Ist das wirklich meins – dieses Fach und diese berufliche Richtung? Will ich überhaupt dorthin? Werde ich mithalten können? „Mit dem Wissen wächst auch der Zweifel“, wusste schon Goethe. Soweit, so normal. „Schwierig wird es erst dann, wenn man nicht mehr aktiv versucht, auf diese Fragen eine Antwort zu finden“, sagt die Leiterin des Career Centers Tina Küstenbrück.

Das Career Center der MLU veranstaltet regelmäßig Infonachmittage zum Thema „Studienzweifel – was nun?“. Meist erscheine nur eine Handvoll Studenten, die danach aber auch die Einzelberatungen sehr intensiv nutze. „Viele Zweifler wünschen sich eine schnelle Lösung und sagen uns erstmal: Das wird nichts mehr, ich muss hier raus und brauche einen Job“, erzählt Küstenbrück. Häufig handelt es sich dabei aber um eine Kurzschlussreaktion. „Wir wollen Studienzweiflern vor allem erst einmal dabei helfen, herauszufinden, was sie selbst wirklich wollen. Die persönliche Entwicklung und Lebensplanung steht für uns im Mittelpunkt.“

„Wir wollen ganz bewusst vor dem Studienabbruch ansetzen" - Tina Kaltofen (geb. Küstenbrück)
„Wir wollen ganz bewusst vor dem Studienabbruch ansetzen" - Tina Kaltofen (geb. Küstenbrück) (Foto: Uni Halle)

Das heißt zunächst: Fragen stellen und bei der Suche nach Antworten Hilfe leisten. Warum hat sich jemand für sein Studium entschieden? Was war Auslöser für die Zweifel? Was sind die eigenen Hauptinteressen und Berufswünsche? „Wir geben den Zweiflern Methodenwissen an die Hand, mit denen sie anschließend selbst die nächsten Schritte gehen können.“ Die Gründe, für tiefe Zweifel am eigenen Studium sind vielfältig. „Manche kommen beispielsweise mit bestimmten Prüfungsformen oder dem Studienaufbau nicht zurecht. Oder die Entscheidung für ein bestimmtes Fach entsprach eher dem Studienwunsch der Eltern als dem eigenen“, erläutert Tina Küstenbrück.

Durch das Projekt „Zweifel am Studium“, das das Career Center vor zwei Jahren gemeinsam mit der Arbeitsagentur Halle gestartet hat, wurden Studienzweifler erstmals gezielt durch ein ganzheitliches Informations-, Beratungs- und Vermittlungsangebot unterstützt. „Wir wollten ganz bewusst vor dem Studienabbruch ansetzen, dann, wenn der erste tiefe Zweifel auftaucht“, erklärt Küstenbrück. Denn Ergebnis solcher Zweifel kann auch sein: Danach umso motivierter erst richtig durchzustarten. Das Fach zu wechseln und erfolgreich zu Ende zu studieren. Oder beim Praktikum, Auslandsaufenthalt oder im Job herauszufinden, was man wirklich will.

Interesse an Studienabbrechern

Konkreter Anlass für das Projekt war die Anfrage eines Unternehmens, das beim Career Center gezielt nach Studienabbrechern fragte. Die Firma suchte nach qualifizierten Bewerbern für ihre Ausbildungsstellen. Das war vor wenigen Jahren noch eine ungewöhnliche Anfrage. „Inzwischen zeigen sich immer mehr Unternehmen an Studienabbrechern interessiert. Sie suchen fähiges, motiviertes Personal und schauen dabei weniger auf den Abschluss oder die Semesterzahl“, erzählt Tina Küstenbrück.

Während sie und ihre Mitarbeiter im ersten Schritt die Studierenden bei der Karrierefindungssuche beraten, übernimmt die Agentur für Arbeit die Vermittlung in freie Ausbildungsstellen, sobald der oder die Studierende sich für diesen Weg entschieden hat. Gemeinsam arbeiten beide Partner auch daran, Unternehmen auf die Gruppe der Studienabbrecher aufmerksam zu machen und ein breites Netzwerk für den Erfahrungsaustausch und die Jobvermittlung aufzubauen.

160 Studierende nahmen das Beratungs- und Vermittlungsangebot der beiden Projektpartner innerhalb eines Jahres wahr. „Diese Zahl hat uns schon überrascht.“ Bundesweit gibt es über Studienzweifler und Studienabbrecher bislang nur wenige Studien und kaum belastbare Zahlen. Wer die Universität ohne Abschluss verlässt, verschwindet auch aus der Studierendenstatistik. Erhoben wird weder, warum jemand abbricht, noch wohin er geht. Das Evaluationsbüro der MLU will nun erstmals gezielt diejenigen befragen, die im Wintersemester 2012/13 und im Sommersemester 2013 ohne Studienabschluss die MLU verlassen haben.

Einen ersten Erfolg können die Projektleiter schon vorweisen: Zwei Drittel der 160 Studierenden wollten zu Beginn der Beratungen ihr Studium abbrechen. Aber nur ein Drittel hat tatsächlich diesen Weg gewählt. Den Studienabbrechern konnte über die Arbeitsagentur ein Ausbildungsplatz vermittelt werden. Der Projektbericht bietet erste Statistiken zu den Gründen des Studienzweifels und zum Verlauf der Beratungsfälle.

Das 18-seitige Papier stieß im Wissenschafts- und Wirtschaftsministerium des Landes ebenso wie im Rektorat auf großes Interesse. „Es ist viel in Bewegung gekommen im letzten Jahr“, freut sich Tina Küstenbrück. „Den Studierenden können wir sagen: Es tut sich was! Und den Abbrechern: Ihr seid ebenso interessant für Arbeitsgeber wie andere!“

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