"Der Abschluss war nicht ausschlaggebend"

04.07.2013 von Corinna Bertz in Studium und Lehre, Campus
Fast jeder Studierende hat es schon einmal getan: sein Studium in Frage gestellt. Während bei vielen die Motivation nur kurzzeitig sinkt, sind die Zweifel an der eigenen Studienwahl bei manchen so stark, dass sie die Universität ohne Abschluss verlassen. Wie finde ich heraus, was ich beruflich wirklich will? Antworten darauf gibt John Webb, Trainer für Life/Work Planing im Interview:
Zweifel gehören zum Studium dazu.
Zweifel gehören zum Studium dazu. (Foto: fotolia/ wavebreakmediaMicro)

Sie sind Trainer für individuelle Lebenslaufplanung – zu welchem Zeitpunkt meines Lebens sollte ich denn bei Ihnen vorbeischauen?

John Webb: Ich glaube ich habe noch nie jemanden kennengelernt, der Life/Work Planning nicht nötig hatte. Im Grunde reden wir von einem Verfahren mit dem jeder Mensch für sich die Entscheidung treffen kann: Was habe ich dem Arbeitsmarkt zu bieten und was möchte ich anbieten? Wo will ich das anbieten und wie komme ich da hin? Meine Kurse sind meist an Unis, allerdings nicht für Studierende, sondern eher für Absolventen, die etwas älter sind. Nicht, dass das so sein müsste, aber in der Regel erkennen junge Leute in Deutschland noch nicht, dass so eine Lebenslaufplanung notwendig oder wünschenswert ist. Sie denken ‚Ich habe Psychologie studiert und werde Psychologe’. Sie wissen nicht, dass man mit einem Abschluss in Psychologie ganz unterschiedliche Dinge machen kann, die sehr wahrscheinlich geprägt werden von dem, was sie selbst interessiert und nicht so sehr von dem, was der Markt will. Viele denken, der Arbeitsmarkt ist der Ort, wo alle Stellen ausgeschrieben sind, dabei werden zwischen 66 und 75 Prozent der Stellen am Arbeitsmarkt nicht ausgeschrieben. Der größte Teil des Arbeitsmarktes ist nicht in der Zeitung oder auf Internetportalen zu finden.

Life/Work Planning kann dabei helfen, solche Arbeitsplätze zu finden?

Genau. Man lernt mit dem Verfahren, das Marktsegment zu identifizieren und zu untersuchen, das einen wirklich interessiert. So kann ich herausfinden, wo es Arbeitgeber gibt, die tatsächlich das brauchen, was ich anbieten will. Wer in Deutschland durch das öffentliche Schulsystem gegangen ist, hat nie einen Kurs besucht oder ein Fach belegt, das sich diesen Fragen gewidmet hat: Was gibt es für Fähigkeiten? Welche Fähigkeiten habe ich und woran erkenne ich, ob ich eine bestimmte Fähigkeit habe? Man hat nie gelernt, eigene Fähigkeiten zu bestimmen. Man hat nie gelernt, die eigenen Interessenfelder zu beschreiben. Aber einem Arbeitgeber geht es immer so: Er braucht jemanden, der X kann. In Deutschland präsentieren sich Leute oft, indem sie sagen: Ich habe einen Abschluss in Politikwissenschaft oder Erziehungswissenschaft. Das verlangt, dass der Arbeitgeber sich dazu Gedanken macht, wozu das gut sein könnte. Aber am besten wissen das diejenigen, die diesen Abschluss haben.

Es geht also darum das, was der Arbeitsmarkt bietet, mit meinen Interessen zusammenzubringen?

Ja, wobei die eindeutige Betonung erst einmal darauf liegt, herauszufinden, was die Person selbst kann und will. Was kann sie und was davon will sie anbieten und wo will sie es anbieten? Jemand der gut beraten kann, kann beraten – aber zu welchem Thema? Zur Kleidung zur Kindererziehung oder zur Gartengestaltung? Die Unis bringen den Studierenden bei, wie sie bestimmte Dinge tun – VWL-Studierende lernen, einen Markt zu analysieren und ein Chemiker lernt, bestimmte Substanzen zu mischen. Aber wofür wirst du das brauchen? Wie kann man diese Leistungen einbringen? Das kommt an den Unis zu kurz.

Eine erste Studien- oder Berufsorientierung wird Schülern oder Studieninteressenten an Schulen und Universitäten angeboten. Wie unterscheidet sich ihre Methodik davon?

Dort wird nach den Stärken des Einzelnen gefragt, aber nicht danach, was er daraus für die eigene Biographie ableiten kann. Wie kann ich meine Fähigkeiten benennen und wirklich feststellen? Und welche kann ich gut genug, um Geld damit zu verdienen? Wenn ich meine Fähigkeiten kenne, bleibt die Frage, welche man davon auf dem Arbeitsmarkt gern einsetzen möchte. Ich habe zumindest noch niemanden in Deutschland kennengelernt, der mir gesagt hat: So etwas haben wir in der Schule gelernt.

Was genau passiert in Ihrem Seminar, wie Sie es zuletzt auch an der MLU durchgeführt haben?

Man lernt, bestimmte Ereignisse aus der eigenen Biografie zu isolieren. Wir suchen Situationen, die drei Aspekte erfüllen: Man hat sich etwas Bestimmtes vorgenommen, es erreicht und dabei ging es einem gut. Ich habe gerade eine Gruppe an der Uni Bremen, wo wir damit gestern angefangen haben. Viele finden Situationen, die die ersten beiden Bedingungen erfüllen; der dritte Aspekt ist schwieriger zu finden. Mit Life/WorkPlanning sucht man Situationen, wo es angenehm ist, eine Arbeit zu machen. Keine Frage, man steht gerne morgens auf und macht etwas, von dem man weiß, das ist für etwas gut und es ist nicht nur meine Art, Geld zu verdienen.

Was macht man in so einem Seminar?

Man fragt danach, wie man diese Ereignisse in der eigenen Biografie findet und sucht nach den Themen, die einen wirklich interessieren. Ich zeige, wie man Fähigkeiten und Interessenfelder zusammenbekommt und wie man ein Marktsegment empirisch für sich analysieren kann.

Wer kommt in Ihre Seminare?

Dieses Jahr laufen 26 LWP-Kurse an deutschen Hochschulen. Es ist ungewöhnlich, mehr als zwei oder drei Studierende in einer Gruppe zu haben. Die meisten jungen Leute in Deutschland denken, sie haben einen Abschluss und müssen sich nur auf einen ausgeschriebene Stelle bewerben und dann verdienen sie ordentlich. Der große Teil des Arbeitsmarktes ist aber nicht so ordentlich. Wenn man sich auf ausgeschrieben Stellen beschränkt, sieht man nur einen Bruchteil der Möglichkeiten, die tatsächlich vor einem liegen. Wenn man ein wenig länger gearbeitet hat, merkt man: Nur ein kompetenter und loyaler Mitarbeiter zu sein, führt sehr wahrscheinlich nicht zum eigenen Glück. Meist erst mit diesem schmerzlichen Einblick sind Menschen bereit, die Mühe und den Aufwand auf sich zu nehmen, den es braucht, um den Markt wirklich zu erschließen. Wir kennen alle Menschen, die studiert haben, sich dann zweimal Bewerben und ihren Job antreten. Aber das ist nicht der Normalfall, der Normalfall sind eher Zick-Zack-Verläufe. Ein Grund dafür ist auch, dass viele in der Schule nie gelernt haben, die eigenen Fähigkeiten und Interessen zu bestimmen und den Arbeitsmarkt selbst gezielt untersuchen.

Das heißt eigentlich sollte man möglichst früh mit Berufs- und Studienorientierung einsetzen?

Ja. Und mit früh meine ich wirklich früh. Ich kenne Kurse, die fangen in der 5. oder 6. Klasse an. Kindern in dem Alter kann man sagen, dass sie jetzt noch keine Entscheidung treffen und noch nicht genau wissen müssen, was sie einmal werden möchten. Es geht nur darum, dass das Kind lernt, seine eigenen Fähigkeiten und Interessenfelder zu bestimmen und wie man diese Fähigkeiten und Interessen zusammenbringen kann. Wir machen Ausflugstage, an denen wir mit Schülern oder Studenten zum Beispiel sechs Firmen besuchen, nur um zu beweisen, dass das, was sie lernen, keine graue Theorie sondern praxisrelevant und machbar ist. Und sie stellen fest: Es ist eigentlich gar nicht so schwierig, herauszufinden, wie es ist, Chemiker, Zahnarzt oder Werbemanager zu sein. In drei oder vier Tagen können sie so feststellen, ob ein bestimmter Berufszweig für sie relevant ist oder nicht. Noch wichtiger als das konkrete Bild ist, festzustellen: Ich bin selbst dazu in der Lage, herauszufinden, welcher Beruf mich anspricht und interessiert. Firmen sind nicht sonderlich gut darin, Bewerbern zu schildern, wie die Arbeit und der Alltag bei ihnen konkret aussieht. Und es gibt nur eine Person, der es wichtig ist, das vorher zu erfahren: das ist der Bewerber selbst.

Was würden Sie jenen raten, die während ihres Studiums stark zweifeln, ob sie überhaupt die richtige Wahl getroffen haben? Ist es sinnvoll, erstmal einen Abschluss zu machen oder sollte man sich gleich neu orientieren?

Das kann man nicht verallgemeinern. Ganz vielen Leuten muss man dann die Frage stellen: Was willst du mit einem Abschluss, von dem du von vornherein weißt, dass er nicht das ist, was du machen willst? Tatsache ist: Wenn du studierst, kannst du ganz viele unterschiedliche Dinge damit machen, aber das sagt einem die Uni oft nicht. In vielen Unis, in denen ich Seminare gebe, kommen entweder Studienabbrecher oder Studienzweifler. Sie denken, wenn sie die Uni verlassen, kommen sie gar nicht mehr in die Wissenschaft und können ihr dort erlangtes Wissen nicht mehr nutzen. Das ist schade, denn das Wissen ist wertvoll und kann in einen Arbeitsplatz eingebracht werden, wenn man artikulieren kann, was man einem Arbeitgeber bieten kann. Man ist mit dem Biologie-Abschluss kein Biologe, sondern ein Mensch mit Biologie-Abschluss und niemand weiß, was dieser Mensch alles kann. Wir hatten gerade eine Veranstaltung in Berlin mit sieben Architekten, die zur selben Zeit alle denselben Abschluss gemacht haben. Alle sieben machen heute ganz unterschiedliche Dinge und vieles davon hätte man genauso ausführen können mit einem abgebrochenen Studium. Der Abschluss war nicht ausschlaggebend.

Bericht zum Projekt "Zweifel im Studium an der MLU"

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