Preisgekrönte Habilitation: Von manipulativen Bakterien bis zur Genvorhersage

28.04.2023 von Katrin Löwe in Campus, Personalia
Als Bioinformatiker ist er in zahlreiche Forschungsprojekte an der Universität involviert, entwickelt Modelle für die Genregulation. Darüber hinaus engagiert er sich in der akademischen Selbstverwaltung. Heute gehört PD Dr. Jan Grau zu jenen, die einen der Universitätspreise 2023 erhalten. Er wird für seine Habilitationsschrift mit dem Christian-Wolff-Preis geehrt.
Jan Grau wird für seine Habilitation geehrt.
Jan Grau wird für seine Habilitation geehrt. (Foto: Maike Glöckner)

Bioinformatik ist nicht gerade ein Fach, dessen konkrete Fragestellungen sich dem Laien im Vorbeigehen erklären lassen. Jan Grau schafft es dennoch, Bilder im Kopf seines Gegenübers zu erzeugen. Das Bild von dem Bakterium etwa, das auf einer Pflanze auf die Wirkung sogenannter Effektoren wartet, von ihm selbst eingeschleuster Proteine, die in der Pflanze die Aktivität bestimmter Gene manipulieren und dem Bakterium dadurch letztlich zum Beispiel Futter – genauer Zucker – bringen. Und das für sich irgendwie auswählen muss, welche seiner Proteine es für sein eigenes Überleben braucht und welche es als Effektoren in die Pflanze einschleust. Die Signale für diese Auswahl und für die Genaktivierung in der Pflanze zu finden und vorherzusagen, ist eines der Forschungsgebiete, mit denen sich der 43-Jährige in seiner Habilitationsschrift befasst hat. Für die Arbeit mit dem Titel „Computational methods for predicting patterns in biological sequence data“ erhält er heute auf der Festveranstaltung der Universität den Christian-Wolff-Preis.

Grau hat ab dem Jahr 2000 in Halle Bioinformatik studiert – die MLU sei damals eine der ersten deutschen Universitäten gewesen, die den Studiengang anboten, erinnert er sich. In seinem Fach wurde es eine wissenschaftliche Karriere, mit einer Doktorandenstelle, die ihm der Betreuer seiner Diplomarbeit und langjährige Mentor Prof. Dr.-Ing. Stefan Posch angeboten hat. Die Promotion schloss er 2010 ab.

Man wolle verstehen, wie in verschiedenen biologischen und biochemischen Prozessen Informationen verarbeitet werden, sagt Grau: vom Auslesen der Erbinformation auf der DNA und deren Umschreibung in eine messenger-RNA bis zur Übersetzung in Proteine, die beim Menschen zum Beispiel die Haarfarbe bestimmen oder die funktionierende Weiterleitung von Reizen in unseren Nervenzellen. Erbinformationen und Proteine können dabei als Abfolge von Buchstaben dargestellt werden – sogenannte Sequenzdaten. Diese werden wiederum in mathematische Modelle gegossen, die an die Realität angepasst werden müssen – und im Idealfall Vorhersagen erlauben, erklärt Grau. Für den Laien übersetzt heißt das zum Beispiel: In menschlichen Zellen liegt überall die gleiche Erbinformation vor, trotzdem tun sie ganz unterschiedliche Dinge, Nervenzellen etwas anderes als Muskelzellen. „Es gibt also ein regulatorisches Programm, das dafür sorgt, dass unterschiedliche Gene zu unterschiedlichen Zeitpunkten und an unterschiedlichen Orten aktiv sind. Ein Ziel ist, dass man vorhersagen kann, welche Gene wann wie stark aktiv sind.“ Und dafür sorgen, dass eine Zelle zum Beispiel eine Leberzelle wird – oder bei Fehlern im System Krankheiten auslösen.

Graus Habilitationsschrift ist eine Sammlung von 20 bisher veröffentlichten Fachartikeln, die sich im Groben mit drei Forschungsfeldern befassen. Zum einen mit der Entwicklung neuer, komplexer statistischer Modelle der Genregulation und neuen Formen des maschinellen Lernens. Mit einer Methode, die bei der Vorhersage aus eigenen Fehlern lernen kann, haben Forschende um den halleschen Bioinformatiker 2017 einen internationalen Wettbewerb gewonnen. Das zweite Forschungsfeld befasste sich mit den bereits eingangs erwähnten pflanzenpathogenen Bakterien der Gattung Xanthomonas. Mit Prof. Dr. Jens Boch (Hannover, bis 2008 in Halle) arbeitet Grau seit Jahren in zwei DFG-Projekten, die die Bakterien speziell auf Reispflanzen untersuchen. Weitere Projekte befassen sich mit Tomaten, Paprika und Zitruspflanzen.

Nicht zuletzt hat Grau mit Partnern in einem dritten Forschungsfeld Vorhersageprogramme geschrieben, wo auf einem riesigen neu sequenzierten Genom bestimmte Gene zu finden sind. Hilfreich, sagt er, sind dabei vor allem Erkenntnisse aus Modellorganismen, die bereits sehr gut erforscht sind – die Wissenschaft nutzt dabei die Annahme aus, dass es viele Gemeinsamkeiten zwischen verwandten Arten gibt.

Fortsetzen möchte Grau seine Forschungen zunächst in Halle. Hier ist er mit Arbeitsgruppen aus den unterschiedlichsten Bereichen der Universität und darüber hinaus verbunden – von der Pflanzengenetik über die Pflanzenphysiologie und die Agrarwissenschaft bis hin zur Medizin. Er schätzt die kurzen Wege auf dem Campus. In den Bioinformatik-Studiengängen leitet er seit 2006 diverse Lehrveranstaltungen. Er betreut Abschlussarbeiten und wirkt bei der Weiterentwicklung der Studienprogramme mit. Darüber hinaus engagiert sich der Bioinformatiker seit vielen Jahren in der akademischen Selbstverwaltung der Universität. Schon während seiner Studienzeit – in der Kürzungsrunde 2003/2004 – sei er über die Proteste des Studierendenrates in die Hochschulpolitik „reingerutscht“, habe als studentischer Vertreter im Senat gesessen und sei Gründungsmitglied der Studierendenzeitschrift gewesen, die damals noch „READiculum“ hieß. Später sei er auf der Mitarbeiterseite aktiv geblieben, zeitweise als Stellvertreter, jetzt wieder als direktes Mitglied des Senats und seit 2014 in der Forschungskommission. Drei Kürzungsrunden habe er inzwischen mitgemacht. Aber er sagt: „Es lohnt, sich zu engagieren. Mit guten Sachargumenten kann man in vielen Debatten etwas erreichen.“

Festtag und Übergabe der Universitätspreise

Die Universität veranstaltet heute für ihre Promovenden und Habilitanden eine Festveranstaltung in der Aula des Löwengebäudes. Alle jene, die seit Sommer 2022 ihre Promotion oder Habilitation abgeschlossen haben, erhalten ihre Urkunden. Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, die ihre Promotion mit der Bestnote "summa cum laude" abgeschlossen haben, werden zudem mit der Luther-Urkunde der MLU ausgezeichnet.

Weiterhin werden die Universitätspreise für besonders herausragende Arbeiten vergeben. Den mit 1.500 Euro dotierten Christian-Wolff-Preis 2023 erhalten zu gleichen Teilen PD Dr. Anja Schmidt für ihre Habilitation zum Thema "Pornographie und sexuelle Selbstbestimmung. Eine Kritik des Pornographiestrafrechts de lege lata und Vorschläge de lege ferenda" und PD Dr. Jan Grau für seine Habilitation "Computational methods for predicting patterns in biological sequence data".

Die Dorothea-Erxleben-Preise 2023 werden zwei Mal, jeweils mit einer Dotierung von 1.000 Euro, vergeben. Dr. Karl Tetzlaff erhält ihn für seine geisteswissenschaftliche Dissertation zum Thema "Gott zwischen Ich und Wir. Theologisch-philosophische Erkundungsgänge im sozialen Spannungsfeld von Selbstsein und Anerkennung". Den naturwissenschaftlichen Erxleben-Preis teilen sich Dr. He Jie für ihre Dissertation "Functional Characterization of the Bivalent Cation Transporter 3 in Arabidopsis thaliana and Hordeum vulgare" und Dr. Jonathan Schmidt für seine Dissertation "Machine Learning the Thermodynamic Stability of Crystal Structures".

Mit dem Anton-Wilhelm-Amo-Preis 2023 wird Julian Freytag für seine Masterarbeit "Nationalisierung oder Sowjetisierung? Die korenizacija der Wolhyniendeutschen in der Ukrainischen Sowjetrepublik der 1920er und 1930er Jahre" ausgezeichnet. Auch dieser Preis ist mit 1.000 Euro dotiert.

Den DAAD-Preis 2023 erhält Arman Edalat (Iran) für seine besonderen akademischen Leistungen und sein bemerkenswertes gesellschaftliches und interkulturelles Engagement.

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