Die Spur nach Cornwall

21.10.2019 von Ines Godazgar in Im Fokus, Wissenschaft, Forschung
Vor 20 Jahren wurde die Himmelsscheibe von Nebra entdeckt. Forscherinnen und Forscher aus Halle beschäftigen sich mit dem spektakulären Fund – unter anderem mit 32 Gramm Gold, die darauf geprägt sind.
Gregor Borg beim Goldwaschen in Cornwall
Gregor Borg beim Goldwaschen in Cornwall (Foto: Nicolas Meyer)

Wohl kaum ein archäologisches Objekt ist in der jüngeren Vergangenheit so intensiv untersucht worden wie die Himmelsscheibe von Nebra, jene älteste konkrete Darstellung des Himmels, die von Raubgräbern auf dem Mittelberg bei Wangen entdeckt wurde. Seit 2004 ist sie an der MLU immer wieder Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen. Es gab eine von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) eingerichtete Forschergruppe, in deren Rahmen viele Aspekte des mehr als 3.600 Jahre alten Artefakts unter die Lupe genommen wurden. Und es gab immer wieder spektakuläre Forschungsergebnisse, zum Beispiel die Aufklärung der astronomischen und kalendarischen Funktionen der Himmelsdarstellungen, die sowohl die Wissenschaftsgemeinde als auch das Laienpublikum elektrisierten. Die Himmelsscheibe ist Kult, und daran dürfte sich so schnell nichts ändern. Auch, weil sich ihr selbst heute noch Geheimnisse entlocken lassen.

Eine Frage war zum Beispiel, aus welcher Gegend die auf ihr aufgebrachten etwa 32 Gramm Gold stammen. Darüber ist seit Beginn der Arbeiten geforscht worden. Doch bei europaweiten Vergleichen von Naturgold mit dem Gold der Himmelsscheibe stellte sich immer wieder heraus, dass keines dem der Himmelsscheibe glich. Schließlich gab es zwar eindeutige wissenschaftliche Anhaltspunkte dafür, dass das Gold aus dem englischen Cornwall stammt. Doch konkrete Beweise für die Plausibilität dieser Hypothese fehlten.

Im Mai 2017 übernahm der Zufall eine Rolle in diesem Wissenschaftskrimi. Zu jener Zeit wollten Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt, Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle sowie Honorarprofessor an der MLU, und Prof. Dr. Gregor Borg, Geologe und Experte für Lagerstättenkunde an der MLU, nach England aufbrechen. Am Royal Cornwall Museum in Truro sollten beide einen Vortrag über das Gold der Himmelsscheibe halten. Und Meller wollte sich den dort fließenden Fluss Carnon ansehen, weil es Vermutungen gab, dass auch er bei der Goldgewinnung in der früher als Bergbaugebiet bekannten Gegend eine wichtige Rolle gespielt haben könnte.

Kurz vor dem Aufbruch erhielt Borg einen Anruf von Courtenay Smale. Der 84-jährige Brite war Präsident der Royal Institution of Cornwall, außerdem ist er selbst leidenschaftlicher Mineraliensammler und Kurator der Mineraliensammlung von Caerhays Castle, einem Herrenhaus direkt über einer malerischen Bucht am Ärmelkanal. Smale verwies darauf, in der Sammlung des Schlosses auf etwas Merkwürdiges gestoßen zu sein: Beim Durchforsten des Bestandes habe er in einer Schachtel mehrere Goldnuggets entdeckt, jedes ein bis zwei Zentimeter groß und bis zu zehn Gramm schwer. All das seien vermutlich Fundstücke aus Cornwall und er fragte Borg, ob er sie untersuchen wolle. Er vermutete, sie könnten die gleiche Zusammensetzung haben wie das Gold auf der Himmelsscheibe.

Gregor Borg konnte sein Glück kaum fassen. „Das wäre der Beweis dafür gewesen, dass wir mit unseren bisherigen Hypothesen zu diesem Thema richtig lagen.“ Vor Ort fielen den Experten bei den Nuggets der sehr hohe Silbergehalt und weitere charakteristische Metalle auf. Außerdem waren auf ihnen kleine schwarze Einschlüsse zu erkennen. „Dabei – so die Vermutung – musste es sich um Kassiterit handeln, also Zinnstein“, erklärt Borg und ergänzt: „Das ist eine Besonderheit der Minen in Cornwall. Dort kommen Gold und Zinn vereint vor, weil während des Bergbaus in der Region Goldnuggets und Zinnstein im nahegelegenen Carnon River gemeinsam transportiert worden sind. Dabei fallen die Zinnsteineinschlüsse durch zwei sehr unterschiedliche Formen auf, gut gerundete und scharfkantig eckige Körner.“

Besagte Einschlüsse wurden zunächst im Labor mit einem Röntgenanalysator zerstörungsfrei untersucht und außerdem mit einem 3-D-Mikroskop visualisiert. Und in der Tat, die Untersuchung bestätigte, dass es sich um Zinnstein handelt. Mehr noch: „Zinnsteinassoziationen, bei denen diese beiden charakteristischen Kornformen gemeinsam auftreten, sind äußerst selten, aber für den Fluss Carnon wurde genau diese Kornformen bereits vor Jahren als typisch bei der industriellen Zinngewinnung beschrieben.“ – Ein weiteres Indiz für die Herkunft der Nuggets aus dem Carnon River in Cornwall, erklärt Borg und ergänzt: „Damit hatten wir durch die Nuggets und den Zinnstein den Beweis für die Richtigkeit unserer Annahme erhalten.“

Zwar konnten die Forscher schon 2011 anhand von Museums-Proben die charakteristische geochemische Ähnlichkeit des Goldes aus dem Carnon mit dem der Himmelsscheibe beweisen. Aber die Frage, wie diese charakteristische Zusammensetzung des Goldes in ihrer Besonderheit geologisch zustande gekommen war, bedurfte zusätzlicher Forschung und einer Erklärung. „Und die konnten wir jetzt durch die zusätzliche Arbeit zweifelsfrei liefern“, so Borg.

Heute, in der Rückschau betrachtet, klingt all das absolut wasserdicht. Doch was inzwischen wie ein geöffnetes Buch vor den Wissenschaftlern liegt, war zwischendurch auch immer wieder das Ergebnis von Irrwegen, von Pausen, aber auch von glücklichen Zufällen und Fügungen. „Forschung und Erkenntnisgewinn halten sich nicht immer an den Zyklus von DFG-Projekten“, sagt Borg. Mehr noch, in vielen Fällen komme die Forschung nach dem Ende der Förderphase eines Projekts zum Erliegen. Dass das im Fall der Himmelsscheibe von Nebra nicht dauerhaft so war, sei natürlich der Bedeutung des Fundes geschuldet, aber auch der Tatsache, dass sich hier viele Puzzleteile zwar zeitlich versetzt, aber doch immer wieder als passend herausgestellt haben.

Gold als Wegbegleiter

Gregor Borg gilt seit Jahren als Experte für den Abbau und die Suche nach Gold. Bereits in den 1980er und 1990er Jahren hat er im Auftrag der Bundesregierung und des Landes Tansania sowie für einen internationalen Bergbaukonzern zwei Goldminen entdeckt. Beide zusammen haben einen derzeitigen Wertinhalt von rund 2,55 Milliarden US-Dollar. Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Edelmetall kam der 62-Jährige während seiner Promotion. Damals hat er auch gelernt, sich bei Grabungen auf seinen Instinkt zu verlassen. Schon als Doktorand war er in einer Mine in Namibia auf Gold gestoßen, obwohl ihm die Betreiberfirma versichert hatte, dass er dort niemals etwas finden würde. „Ein Schlüsselerlebnis“, wie Borg sagt. Aber Gold besitzt für ihn auch einen ästhetischen Wert. Ein weiches und warmes Metall sei es, „ein Handschmeichler“. Und es erhitzt nach seiner Erfahrung regelmäßig die Gemüter, denn, so Borg: „Im Lauf meiner Beschäftigung habe ich gelernt, dass es zwei Dinge im Leben gibt, bei denen die Menschen irrational reagieren: Gold und Autos.“

In seiner Arbeit mit der Himmelsscheibe hatte Borg anfangs deren Gold mit dem anderer archäologischer Funde verglichen. Grundlage dafür war eine Datenbank, in der bereits in den 1970er Jahren rund 4.000 in Europa gefundene Gold-Artefakte katalogisiert worden waren. Anhand dieser Arbeit ließ sich feststellen, dass in bestimmten Gegenden Europas jeweils verschiedene Typen von Artefaktgold existierten. Aufbauend auf diesem Befund fand unter Borgs Leitung seit 2005 das erste von der DFG bewilligte Teilprojekt statt, in dem über sechs Jahre von rund 200 europäischen Goldvorkommen Proben genommen und analysiert wurden. Zwei Doktoranden arbeiteten sich von den Lagerstätten aus Mitteldeutschland zunächst unter anderem zu jenen am Rhein und später in die Alpen sowie nach Siebenbürgen vor. Fast 1.500 Goldanalysen entstanden so. Jedoch ließ der Erfolg auf sich warten. Es passte keines dieser Goldvorkommen geochemisch zum Gold der Himmelsscheibe. „Das war frustrierend“, sagt Borg und ergänzt, „all diese Arbeiten waren trotzdem richtig und wichtig. Denn immerhin konnten wir damit bestimmte Regionen als Herkunft für das Gold der Himmelsscheibe sicher ausschließen.“

Erst wesentlich später, ab dem Jahr 2008, nahm sich mit Anja Ehser eine weitere Doktorandin die Goldvorkommen in Spanien, Irland und Cornwall vor. Anfang 2011 dann endlich ein Treffer: Sie fand für die Funde aus Cornwall die größte Übereinstimmung mit dem Gold der Himmelsscheibe. Noch im gleichen Jahr konnten Borg und sein Team die Erkenntnisse publizieren. Verbunden mit einer wichtigen Schlussfolgerung: „Offensichtlich hat es in der Bronzezeit eine wirtschaftliche Verbindung von Mitteldeutschland nach Cornwall gegeben. Das legt der Fund nahe“, so Borg.

Doch selbst, wenn die Goldfrage nun endgültig geklärt ist, so ganz wird die Himmelsscheibe Gregor Borg wahrscheinlich nicht loslassen. „Sobald es einen neuen Aspekt gibt, wird sicher auch wieder daran geforscht werden“, sagt er. Außerdem verweist er auf Wissenschaftler der britischen Museen in Cardiff und Edinburgh: Sie wollen ein Forschungsprojekt beantragen, in dessen Rahmen das Gold von Artefakten und auf den Britischen Inseln vorkommendes Naturgold untersucht werden sollen. Dabei dienen die Untersuchungen zum Gold der Himmelsscheibe als Blaupause. Borg: „Die Briten haben mich deshalb schon als wissenschaftlichen Berater hinzugezogen.“

Das umfangreiche Wissen über die Himmelsscheibe von Borg und Meller ist überhaupt oft gefragt: Erst im September ist in der ZDF-Reihe „Terra Xpress“ ein dokumentarischer Spielfilm ausgestrahlt worden, in dem beide mitgewirkt haben. Außerdem hat Borg intensiv an einem Artikel zum Thema für das Journal der Royal Institution of Cornwall gearbeitet, in dem er die vergangenen 15 Jahre Forschung noch einmal Revue passieren ließ. Und Harald Meller hat erst vor wenigen Monaten gemeinsam mit dem Wissenschaftsjournalisten Kai Michel das jüngste Buch zum Thema veröffentlicht. Seiner Umtriebigkeit, aber auch seiner Präsenz und seinem Enthusiasmus ist es zu verdanken, dass die Himmelsscheibe von Nebra am Landesmuseum für Vorgeschichte immer wieder ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde und 2013 sogar in das Weltdokumentenerbe der UNESCO eingetragen wurde. „Der ungebrochenen Faszination für das Objekt wollen wir ab November 2020 in einer großen Sonderausstellung im Landesmuseum in Kooperation mit dem British Museum Rechnung tragen“, so Meller.

Prof. Dr. Gregor Borg
Institut für Geowissenschaften und Geographie
Tel. +49 345 55-26080
Mail: gregor.borg@geo.uni-halle.de

Prof. Dr. Harald Meller
Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt
Tel. +49 345 5247310
Mail: hmeller@lda.stk.sachsen-anhalt.de

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Geowissenschaften

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