"aula konzerte halle": Das Ganze und seine Teile

19.11.2018 von Pascal Schiemann in Varia
Die Reihe der "aula konzerte halle" hat jungen halleschen Künstlern und angehenden Absolventen des Instituts für Musik ein Podium für ein Konzert geboten, das mit Werken zahlreicher Epochen und Stile vor allem durch seine Vielseitigkeit bestach.
Bassbariton Seungho Shin bei den "aula konzerten"
Bassbariton Seungho Shin bei den "aula konzerten" (Foto: Maike Glöckner)

Das Ganze ist bekanntermaßen mehr als die Summe seiner Teile. Andersherum gewendet: Es lässt sich nur schwerlich von einem Ganzen reden, wenn die Teile – die dann ja auch strenggenommen keine eigentlichen mehr sind – sich nicht zu einem solchen fügen. Manchmal sind die Teile – paradox genug – sogar mehr als ihre Summe. Das Einzelne leidet dann alleine (und eben auch nur alleine) an seinem Teil-Sein.

Einen Konzertabend, der eine derartige Vielzahl von Musikern und Musikerinnen unterschiedlicher künstlerischer Schwerpunkte auf einer Bühne zu vereinen sucht, interessiert das alles freilich herzlich wenig. Weder will ein solcher Abend, noch kann er sich dem Ruch des Bruchstückhaften gänzlich entziehen, so sehr seine Teile für sich genommen auch glänzen mögen: Alexander Stepanov spielte Bachs Englische Suite Nr. 6 feinsinnig und filigran, mit einem schier unfassbaren Reichtum an Klanglichkeit. Kraftvoll, wie im großangelegten fugierten Allegro des Präludiums und der auf äußerste Dramatik zugespitzten Gigue; von tänzelnder Anmut und stimmlicher Transparenz in der Gavotte. Darya Dadykinas Interpretation der Sonata minacciosa, op. 53 nr. 2 Nikolaj Medtners, die das ohnehin vor Gewalt geradezu strotzende, einsätzig durchgearbeitete Werk in seiner Virtuosität noch auf den Höhepunkt trieb, war von technischer Präzision und spielerischer Raffinesse, dabei doch in der Fuge von spielerischer Leichtigkeit und Klarheit im Ausdruck umgeben. Nicht weniger das Gitarrenspiel von Yevgen Shtepa, der zwar mit der Elegie von Johann Kaspar Mertz und wenigstens dem ersten von zwei Sätzen aus Mario Castelnuovo-Tedescos Gitarrensonate op. 77 den Charakter des grüblerisch Schwelgenden etwas überstrapazierte, dies jedoch nur, um mit umso größerer Hingabe die fein gearbeiteten melodischen Spannungsbögen der Werke in aller Deutlichkeit nachzuzeichnen.

Alleine ein Eindruck von Zusammenhalt wollte sich bei aller Brillanz nur schwerlich einstellen. Auch, weil die schiere Länge der ersten Konzerthälfte die gerade durch ihre eindrucksvolle Darbietung von äußerster Hörintensität geprägten Werke alles andere als leicht verdaulich geraten ließ.

Im Falle der drei Gesangssolisten übrigens, die mit Arien aus Opern von Wagner, Rachmaninow, Rossini, Bizet, Mozart und Massenet den nicht weniger bunten zweiten Teil des Konzertabends bestritten, ließe sich der Befund mit wenig List ins Gegenteil verklären (immer, wie man es gerade nicht brauchen kann!): Wolframs Todesahnung (O du, mein holder Abendstern) freilich ist nur dann dramatisch sinnig, wenn vorher der Tannhäuser nicht unter den rückkehrenden Pilgern zu entdecken ist und Elisabeth danach auch tatsächlich stirbt – oder nicht, solange sie denn nur irgendetwas tut. Ein Teil besitzt als solcher eben nur Gewicht, solange er auch Teil von etwas ist.

Die Lösung des Problems indessen ist in beiden Fällen die gleiche, weil auch die Fragment gebliebenen Arien der zweiten Konzerthälfte eindrucksvoll musiziert waren, weil Sabrina Krauß (Mezzosopran) in der Habanera mit einer ebenso lyrisch-ausdifferenzierten wie kraftvollen Stimme bestach, weil Chong Ken Kim (Bariton) das Seelenspiel des betrogenen Aleko mit großer Leidenschaft in all seinen Schattierungen offenlegte und weil Seungho Shin (Bassbariton) über einer mindestens dreiviertelszenisch anmutenden Inszenierung der Auftrittsarie des Figaro aus dem Barbier von Sevilla deren eigentliche Entrissenheit vergessen machte: Dass nämlich am Ende des Abends der textlinguistischen Wahrheit, dass eine Folge von Sätzen noch lange kein Text ist, die ästhetische Einsicht hinzuzufügen blieb, dass es manchmal völlig ausreicht, wenn die Sätze selbst nur brillant genug formuliert sind.

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