Wissenschaft auf einen Klick

07.04.2016 von Tom Leonhardt in Im Fokus, Varia, Forschung, Wissenschaft
Wie die Open Access-Bewegung die Wissenschaft verändert und welche Chancen und Herausforderungen diese Entwicklung bietet, darüber sprechen der Molekularbiologe Prof. Dr. Stephan Feller und Dr. Stefan Artmann, Leiter des Präsidialbüros der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Feller ist Chefredakteur und Mitbegründer des Open Access-Fachjournals „Cell Communication and Signaling“. Artmann ist Mitglied der Arbeitsgruppe „Open Access“ in der Schwerpunktinitiative Digitale Information der Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen.  
Von historischen Handschriften zu digitalen Datenbanken: Das Gespräch zwischen Stephan Feller und Stefan Artmann fand in der Ungarischen Biliothek der Universitäts- und Landesbilbiothek Halle statt.
Von historischen Handschriften zu digitalen Datenbanken: Das Gespräch zwischen Stephan Feller und Stefan Artmann fand in der Ungarischen Biliothek der Universitäts- und Landesbilbiothek Halle statt. (Foto: Michael Deutsch)

Wie würden Sie Open Access erklären?

Stephan Feller: Open Access heißt, dass man Forschungsergebnisse der Allgemeinheit zugänglich macht. Das Internet hat die Möglichkeit geschaffen, Inhalte sehr schnell zu verbreiten. Man muss also nicht mehr in die Bibliothek gehen oder sich eine Zeitschrift schicken lassen. Der Grundgedanke ist auch, dass vieles im wissenschaftlichen Bereich durch öffentliche Fördergelder finanziert wird, und es wenig Sinn macht, die mit öffentlichen Geldern generierten Daten der Öffentlichkeit nur in sehr limitierter Form zur Verfügung zu stellen, weil deren Publikation von kommerziellem Interesse ist.

Stefan Artmann lehrt als Privatdozent für Philosophie an der Uni Jena und leitet das Präsidialbüro der Leopoldina.
Stefan Artmann lehrt als Privatdozent für Philosophie an der Uni Jena und leitet das Präsidialbüro der Leopoldina. (Foto: Michael Deutsch)

Herr Artmann, Sie kommen aus der Philosophie. Ist Open Access für Geistes- wie für Naturwissenschaften gleichermaßen relevant?

Stefan Artmann: Wenn man sich den Ist-Zustand anschaut, ist Open Access in den Naturwissenschaften bedeutsamer. Die Diskussion zeigt, dass Naturwissenschaftler und gerade auch die Lebenswissenschaftler die Avantgarde der Open-Access-Bewegung sind. Es ist aber nicht so, dass die Geisteswissenschaften davon nicht berührt werden. Nur sind die Publikationsgewohnheiten hier andere. In den Geisteswissenschaften steht die Buchpublikation noch sehr im Vordergrund. Das ist eine große Herausforderung: Wie geht man mit Monografien um? Und wie behandelt man das teilweise sehr enge Verhältnis zwischen Autor und Publikationshaus? Einige kleine Verlagshäuser sind bestimmten Fächern historisch eng verbunden.

Welche Rolle spielt Open Access für Sie als Wissenschaftler in Ihrer Forschung?

Feller: Ich war lange in Oxford, wo einem in der Referenzbibliothek fast alles zur Verfügung steht. Aber selbst in Oxford bekommt man nur 90 Prozent aller Zeitschriften, über Subskriptionen – Gebühren, die zentral von der Bibliothek bezahlt werden, oder Zugangsrechte, die die Verlage der Universität einräumen. In Halle sieht es so aus, dass für unsere Arbeit wichtige Fachzeitschriften nicht frei zugänglich sind. Man kann die Artikel natürlich kaufen. Das Problem ist aber, dass man oft noch gar nicht weiß, ob das Paper wichtig ist. Da würde man jedes Mal um die 50 Euro bezahlen, um innerhalb von zwei Minuten festzustellen, dass die Studie für die eigene Arbeit unwesentlich ist. Das ist nicht zielführend. Zumindest in den Naturwissenschaften wird es langfristig auch immer wichtiger, einen schnellen Zugang zu haben.

Trifft das auf Ihre Arbeit auch zu, Herr Artmann?

Artmann: Mittlerweile ist man enttäuscht, wenn man einen Artikel, der zwei oder drei Jahre alt ist, nicht über eine öffentlich zugängliche Datenbank oder ein Open-Access-Journal bekommt. Gerade bei jüngeren Kollegen und Studenten baut sich genauso eine Erwartungshaltung auf wie in den Naturwissenschaften. Open Access befördert aber auch die Internationalisierung der Forschung. Viele geisteswissenschaftliche Fächer sind bis in die heutige Zeit stark durch nationale Forschungstraditionen bestimmt. Das ist nicht zuletzt durch die Digitalisierung aufgebrochen worden. Jetzt kann ich durch eine Google-Recherche viel schneller ein Journal zu meinem Themenbereich finden, das zum Beispiel irgendwo in den USA herausgegeben wird. Früher hat man so etwas oft eher zufällig erfahren.

Inwieweit spielt Open Access auch für Studenten eine Rolle?

Feller: Es gibt Fachgebiete, die sich so schnell entwickeln, dass die Lehrbücher bei Erscheinen schon fast wieder veraltet sind. Da werden im Seminar statt Büchern frei zugängliche Übersichtsartikel benutzt, mit denen man sich auf die speziellen Inhalte vorbereiten kann. Das funktioniert im Grunde nur dann, wenn die Sachen online und frei zugänglich sind.

Artmann: Eine weitere wichtige Entwicklung ist, dass in der Qualifikationsphase zumindest das Angebot besteht, die Arbeit auf einem Repositorium der eigenen Universität zu veröffentlichen. Dadurch werden diese Arbeiten weltweit recherchierbar und sehr viel sichtbarer.

Will ich in einem Open-Access-Journal publizieren, kostet mich das als Autor Geld – anders als bei Journalen wie „Nature“ oder „Science“. Werden damit Wissenschaftler ausgeschlossen, die sich eine Open-Access-Publikation nicht leisten können?

Feller: Das kann ein Problem sein. Ich habe als Chefredakteur aber eine Anzahl an Freifahrt-Scheinen. Wenn ich eine sehr hochwertige Arbeit in meinem Journal veröffentlichen möchte und der Autor zum Beispiel ein junger Nachwuchsforscher ist, der keine Mittel dafür hat, dann kann ich die Arbeit trotzdem veröffentlichen. Autoren aus bestimmten Ländern erhalten automatisch diese Möglichkeit oder zumindest reduzierte Raten. Prinzipiell ist es in den Naturwissenschaften so, dass die Forschung sehr teuer ist. Wenn ich 300.000 Euro für ein Experiment oder eine experimentelle Arbeit zur Verfügung habe, dann sollte es auch möglich sein, 2.000 oder 4.000 Euro Publikationskosten zu zahlen.

2013 kam Stephan Feller aus Oxford an das Institut für Molekulare Medizin der Uni Halle.
2013 kam Stephan Feller aus Oxford an das Institut für Molekulare Medizin der Uni Halle. (Foto: Michael Deutsch)

Journale wie „Nature“ akzeptieren nur rund acht Prozent aller eingereichten Beiträge – bei dem Open-Access-Journal „PLOS One“ sind es etwa 70 Prozent. Was sagt das über die Filterfunktion und Qualitätsstandards der Zeitschriften aus?

Feller: Im biomedizinischen Bereich kann man das durch Impact-Faktoren relativ einfach trennen: Alles, was in einem bestimmten sehr niedrigen Bereich liegt, würde man kaum ernst nehmen. „PLOS One“ ist relativ stringent, dort wird nicht alles publiziert. Die Strategie ist vielmehr, alles zu publizieren, das publikationswürdig ist. Dafür muss das Thema nicht besonders angesagt sein. Aber für irgendjemanden kann diese Studie wichtig sein und vielleicht zieht er einen Nutzen daraus.

Artmann: Es gibt diese Perspektive auf Open Access, die nur den mahnenden Zeigefinger hebt und sagt: Dann ist alles publizierbar. Das ist ein sehr einseitiger Blick. Durch Open Access wird es möglich werden, ganz andere Formen von Qualitätssicherung einzuführen: Zum Beispiel Diskussionsforen für Artikel, die sich an die Veröffentlichung anschließen. Da unterschätzt man die kreativen Möglichkeiten, die digitales Publizieren und Open Access eröffnen. Die Entscheidung für oder gegen Open Access heißt auch nicht, dass wir uns für oder gegen die Verlage entscheiden müssen. Es kommt auf die Kreativität der Verlage an und darauf, wie sie sich in dieser Zeit der Transformation des Veröffentlichungsmodells verhalten.

Wie versucht die Allianz der deutschen Wissenschaftsorganisationen diesen Prozess zu begleiten?

Artmann: Als Allianz haben wir im deutschen Wissenschaftssystem zunächst umfassend darüber informiert, was Open Access eigentlich ist und welche Formen, welche Vorteile und welche Schwierigkeiten es geben kann. Jetzt kommt es in der zweiten Phase darauf an, uns über die einzelnen Etappen des Übergangs im gesamten wissenschaftlichen Publikationswesen noch intensiver auszutauschen.

Die Uni Konstanz hat Ende 2015 beschlossen, dass Wissenschaftler der Universität ihre Aufsätze nach einem Jahr über Open Access zugänglich machen sollen. Manche Autoren sehen sich dadurch bevormundet. Was halten Sie von solchen Pflichtvorgaben?

Feller: In den Naturwissenschaften ist es so, dass das über die Förderinstitutionen dirigiert wird. Wenn eine Universität so eine Regel einführt, dann wird es zumindest für neue Wissenschaftler selbstverständlich. Sie kennen das von Beginn an. Eine Fragmentierung in kleine Initiativen, die alles selbst organisieren, ist gar nicht so gut. Ich persönlich denke, dass da zum Beispiel die EU noch viel stärker aktiv werden müsste.

Artmann: Es müsste eine möglichst systemweite Lösung geben, aber davon sind wir in Deutschland und Europa noch meilenweit entfernt.

Gibt es ein Land, das als Vorbild fungieren könnte?

Artmann: Nein, es ist eher ein Flickenteppich an verschiedenen Lösungen. Auch der europäische oder der deutsche Weg wird nicht darin bestehen, zu sagen: Gold oder Grün. Er wird den verschiedenen Fachkulturen die Möglichkeit geben, das jeweils selbst zu entscheiden. Eine Voraussetzung dafür ist, dass im Wissenschaftssystem ein gewisser Konsens darüber entsteht, wie man den Übergang vom Subskriptionsmodell zu Open Access schafft.

Die Leopoldina hat bei der Allianz der Wissenschaftsorganisationen 2016 die Federführung übernommen. Können Sie einen Ausblick geben?

Artmann: Die Diskussion wird in diesem Jahr konkreter werden. Ich denke, dass sich auch in Deutschland die Wissenschaftsorganisationen im Bereich Open Access koordinieren werden und es dann zu Szenarien kommen kann wie in den Niederlanden. Dort haben sich die Universitäten zusammengeschlossen, um gemeinsam aufzutreten. So konnten sie bessere Vertragsbedingungen aushandeln. Ich könnte mir vorstellen, dass auch die deutschen Wissenschaftsorganisationen versuchen werden, auf die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in diesem Sinne gemeinsam einzuwirken.

Was bedeutet das für die Bibliotheken?

Artmann: Die Universitätsbibliotheken wachsen –  auch durch die Digitalisierung in der Wissenschaft im Allgemeinen – in eine neue Rolle: vom zentralen Wissensspeicher hin zu einer im Universitätsleben noch präsenteren Institution für wissenschaftliche Kommunikation. Dabei geht es auch um die Organisation von Publikationsfonds. Wenn das Subskriptionsmodell allmählich ausläuft und man die teuren Abonnements nicht mehr bezahlen muss, wird dadurch in den Bibliotheken Geld frei. Dieses Geld könnte so umgewidmet werden, dass daraus die Publikationsgebühren für Open Access finanziert werden. Das ist dann eine wichtige Ausgabe der Bibliothek: Wer bekommt wie viel Geld pro Jahr für Open Access-Gebühren? Welche Kriterien sind festzulegen?

Feller: Ich glaube, dass sich die nächste Generation zunehmend weigern wird, Texte zu nutzen, die sie nicht herunterladen können. Die Aufgaben der Bibliothek werden sich deshalb ganz stark ändern. Man braucht jetzt einen Arbeitsraum, in dem die Leute in Ruhe mit ihrem Laptop arbeiten können. Ein anderer wichtiger Punkt ist: Man hat jetzt die Möglichkeit, selbst zum Verleger zu werden. Man braucht keine Druckerpresse mehr. Der Wissenschaft würde es sehr gut tun, sich diese Publikationsaktivitäten wieder zurückzuholen. Die Gewinnmargen sind gerade bei den naturwissenschaftlichen Verlagen enorm. Das ist Geld, das der Wissenschaft bislang verloren geht.

Open Access: Goldener oder grüner Weg?

Auf unterschiedlichen Wegen wird Fachliteratur heute kostenfrei und öffentlich im Internet zugänglich und nutzbar gemacht: Publizieren Forscher ihre neuen Beiträge in einem Open Access-Journal, das alle Bedingungen der Open Access-Bewegung erfüllt, so spricht man vom goldenen Weg. Finanziert werden diese Fachzeitschriften meist durch eine Publikationsgebühr, die der Autor bzw. seine Institution zahlen muss. Wissenschaftliche Einrichtungen, die für dieses Modell Publikationsfonds einrichten, werden in Deutschland seit 2009 durch das Förderprogramm „Open Access Publizieren“ der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstützt.

Auch wenn ein wissenschaftlicher Beitrag zunächst in einem kostenpflichtigen Journal publiziert wird, kann der Autor auf dem sogenannten grünen Weg für kostenfreien Zugang sorgen: Indem er eine Kopie seines Texts selbst online nutzbar macht oder ihn über ein digitales Archiv seiner Institution, Repositorium genannt, veröffentlichen lässt.

Ein weiteres, allerdings umstrittenes Publikationsmodell haben kommerzielle Verlage entwickelt: Bei Hybrid-Publikationen wird ein Text in einer gedruckten Zeitschrift veröffentlicht und zugleich online kostenfrei bereitgestellt. Dafür fordern die Verlage vom Autor jedoch Publikationskosten ein. Einrichtungen, die durch das DFG-Programm gefördert werden, dürfen sich an der Finanzierung von Hybrid-Zeitschriften nicht beteiligen.

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