Wider das Symmetriediktat

12.09.2012 von Günter Kowa in Im Fokus
Am Weinberg Campus wird gelehrt, gelernt, geforscht und gelebt. Aber in welchen Bauten eigentlich? Vom Lustschloss en miniatur zum Gebäude mit technoiden Details: Eine Architekturkritik zeigt die baulichen Entwicklungen am Weinberg Campus in zwei Teilen.
Treppenauge in der Pharmazie
Treppenauge in der Pharmazie (Foto: Michael Deutsch)

Von Preußenkönig Friedrich Wilhelm abwärts verschrieb der hallesche Medizinprofessor Friedrich Hoffmann seinen Patienten die nach ihm benannten Tropfen und predigte die „herrliche Kraft“ von Selterswasser. Er selbst trank lieber Wein vom eigenen Weinberg. Und der lag dort, wo der „Weinberg Campus“ der naturwissenschaftlichen Fakultäten und obendrein der Kliniken der halleschen Universität heute noch seinem Geist verpflichtet ist.

In parkähnlicher Landschaft statt zwischen Rebstöcken gehen da täglich rund 5.000 und mehr Studenten und Dozenten in Instituten und Forschungseinrichtungen ein und aus. Aufstrebende Technologieschmieden verwerten die Erkenntnisse gleich weiter. Die rasante Entwicklung des Areals ist in den Bauten gespiegelt. An der Hausnummer 1 der Straße, die Weinberg heißt, steht sogar noch Hoffmanns Weinberghäuschen, ein Lustschloss en miniature aus der Mitte des 18. Jahrhunderts mit seitlich zum Vorhof gruppierten Pavillons.

In den fünfziger Jahren begann die Universität, ihre medizinisch-naturwissenschaftliche Forschung in stadtferne Abgeschiedenheit umzusiedeln. Doch die war auch ein Grund, dass sich 1844 die „Königlich-Preußische Provinzial-Irrenanstalt“ nahe dem Dorf Nietleben niederließ. Es war die Irrenanstalt, die den Keim zum Wissenschaftsbetrieb im Weinbergviertel legte. Doch ist seit einigen Jahren so gut wie nichts mehr von ihr übrig – ein Umstand, auf den zurückzukommen ist.

Unter anderen Vorzeichen baute 1934 bis 1937 der NS-Staat unweit davon eine symmetriebetonte Anlage. Die „Heeres- und Luftnachrichtenschule“ diente unverblümt der Kriegsvorbereitung. Der militärische Geist ist dem Appellhofplatz anzusehen, an dessen Seiten die dreiflügeligen Schulbauten angeordnet sind. Das Einschüchterungspathos von NS-Bauten ist aber von der „Luftwaffenmoderne“ überlagert, mit der Bauherr wie Architekt ihre technokratische Sonderstellung betonten. Dafür steht vor allem der Flughafen Berlin Tempelhof, den Ernst Sagebiel (1892 bis 1970) ein Jahr später entwarf. In Halle atmen die klassizistische Strenge der Gebäude und Fassaden, das Pergolamotiv und die symmetrische Anlage noch den bodenständigen Geist von Heinrich Tessenows Dresdner Landesschule von 1925, wie der hallesche Denkmalpfleger Holger Brülls in seinem „Architekturführer Halle“ anmerkt, dem einzigen, der dem Weinberg Campus architekturkritische Aufmerksamkeit widmet.

Im Offizierskasino, ebenfalls von Sagebiel, lohnt im Foyer der Blick auf die geschwungene einhüftige Treppe. Einem Nachhall davon wird man auf dem Weinberg Campus noch mehrfach begegnen. Die denkmalpflegerische Restaurierung der Heeresschule hat sie ungeachtet ihrer Bestimmung für verschiedene naturwissenschaftliche Institute äußerlich in ihren martialischen Urzustand zurückversetzt. Sagebiels Symmetriediktat wird aber städtebaulich mit den Neubauten von Mensa (2011, von Gernot Schulz) und Hörsaalgebäude (2010, von Hartmann & Helm) durchkreuzt: Westlich vom Hof brechen sie auf offenem Gelände aus der vorgegebenen Achse aus. Architektonisch liegen sie in ihrer Schachtelform im Modetrend, und Schulz zitiert mit der tief eingeschnittenen, über Eck geführten Glasfassade sein eigenes Audimax von 1999 am Universitätsplatz. Nüchternheit ist derzeit Mittel der Wahl für Bauten der Wissenschaft. In der Walter-Hülse-Straße haben die Münchner Architekten Beeg, Geselbrecht, Lemke den reichlich konventionellen Bürotrakt des 2007 eröffneten Fraunhofer Instituts für Werkstoffmechanik hinter die Maschinenhalle gestellt, die als kahler Riegel an die Straße gerückt ist.

Passanten können durch Schaufenster das Tüfteln der Wissenschaftler an zyklopischen Gerätschaften beobachten. Was unweit im fensterlosen Kubus des „Reinstraums“ am Gebäude III des Technologie- und Gründerzentrums (TGZ) vor sich geht, ist dagegen nur im Blick auf die flächendeckende Folie zu erahnen, die die mikroskopische Vergrößerung einer Oberflächenstruktur zeigt. Die allumfassende Tätowierung auf der Glasfassade der Cottbuser Unibibliothek von Herzog und de Meuron mag bei dieser Idee des halleschen Bildhauers Bernd Göbel Pate gestanden haben. Baulich steht in Cottbus immerhin noch die amöbenhafte Form für gestalterischen Anspruch, der hier durch Siebdruck ersetzt wird. Für das 2006 eröffnete Nanotechnologiezentrum des Dortmunder Architekturbüros Assmann wurde die „Irrenanstalt“ abgerissen. Für die Entwicklung des Weinberg Campus war dies eine folgenschwere Entscheidung.

Die Leitung des TGZ setzte sich mit ihren Argumenten gegen den Erhalt der leer stehenden Gebäude durch, alternative Standorte wurden verworfen. Für einen Magnet für die wissenschaftliche Avantgarde wurde der eigenwillige Reiz der Anstaltsbauten geopfert. Die hätten das Potential gehabt, dem Campus ein markantes Herzstück von großer Aufenthaltsqualität für studentisches Leben zu geben. Ohne Laborwürfel und Hinweisschild wäre die Architektur des Nanozentrums kaum als wissenschaftsspezifisch zu erkennen. Im benachbarten Gebäude II des TGZ nimmt dagegen das Münsteraner Architektenduo Bolles und Wilson am Ende der neunziger Jahre noch einmal die Zeitströmung auf, Gebäude mit technoiden Details zu beleben. An seiner städtebaulichen Scharnierlage bietet es dem Auge dann allerdings kein ausreichend starkes Motiv, was auch die Farbmuster der Fensterbrüstungen zur Straßenseite nicht zu retten vermögen.

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