Patentieren vor Publizieren

10.04.2012 von Carsten Heckmann in Im Fokus, Forschung, Wissenschaft
Am Anfang steht die Idee, es folgt eine Erfindung – und im Idealfall ein Patent, um mögliche Nachahmer in die Schranken zu weisen. Rund 60.000 Erfindungen werden in Deutschland jährlich zum Patent angemeldet – weniger als ein Zehntel davon stammen aus den Hochschulen. Was es zu beachten gilt und welche Faktoren Forscher möglicherweise abschrecken, erklärt Gisela Wissenbach, Patentassessorin an der MLU.

Am Anfang steht die Idee, es folgt eine Erfindung – und im Idealfall ein Patent, um mögliche Nachahmer in die Schranken zu weisen. Rund 60.000 Erfindungen werden in Deutschland jährlich zum Patent angemeldet – weniger als ein Zehntel davon stammen aus den Hochschulen. Einige Faktoren können die forschenden Erfinder abschrecken – und eine vorherige Publikation bedeutet das Aus für jede Patentbestrebung, erklärt Gisela Wissenbach. Die 59-jährige ist an der MLU als Patentassessorin tätig.

Frau Wissenbach, wann sollte ich zu Ihnen kommen?

Jede Erfindung, die an der MLU patentiert werden soll, landet zuerst bei ihr: Patentassessorin Gisela Wissenbach.
Jede Erfindung, die an der MLU patentiert werden soll, landet zuerst bei ihr: Patentassessorin Gisela Wissenbach. (Foto: Maike Glöckner)

So früh wie möglich. Immer dann, wenn Sie der Meinung sind, dass Sie etwas Neues erfunden haben. Reine Ideen sind nicht schutzfähig, fertige Lösungen müssen es sein, und zwar im technischen Bereich. Da sind also eindeutig die Naturwissenschaften gefragt. Im geisteswissenschaftlichen Bereich werden Sie keine Erfindungen machen. Da gilt nicht das Patent-, sondern das Urheberrecht.

Nun wollen Naturwissenschaftler in renommierten Magazinen publizieren. Wenn sie das bereits gemacht haben…

… war es das. Dann hat sich das erledigt. Es gibt drei Regeln im Patentrecht: Als erstes geht es um die absolute Neuheit. Das ist wirklich ein K.O.-Kriterium. Dann zählen die besondere kreative Leistung und schließlich die Verwertbarkeit.

Also erst anmelden, dann veröffentlichen?

Genau. Mit der Anmeldung beim Patentamt erwerben Sie eine Priorität. Theoretisch können Sie morgens die Anmeldung machen und nachmittags das Kolloquium, bei dem Sie darüber sprechen. Aber erst nach 18 Monaten wird bekannt gemacht, dass Sie etwas angemeldet haben. Innerhalb dieser Frist kann jemand das Gleiche erfinden und anmelden. Dann greift ein kostenloses Mitbenutzungsrecht. Also ist es besser, mit der Veröffentlichung zu warten.

Wie oft kommt denn ein Wissenschaftler mit einer Erfindung auf Sie zu?

Im vergangenen Jahr hatten wir zwölf Patentanmeldungen. In dieser Größenordnung spielt sich das meistens ab. Es sind zudem bestimmte Bereiche, aus denen die Forscher vorrangig kommen: Medizin, Physik, Biochemie, Biotechnologie und Pharmazie.

Welche Fragen und Erwartungen haben die Erfinder?

Es gibt welche, die sind seit Jahren mit Patenten beschäftigt, die wissen, wie es läuft. Diejenigen, die neu sind auf dem Gebiet, haben natürlich eine ganze Menge Fragen. Das ist ganz unterschiedlich.

Was muss man im Vorfeld noch wissen?

Ein Wissenschaftler sollte darauf achten, dass er das Rad nicht neu erfindet. Man muss dazu wissen, dass rund 80 Prozent der wissenschaftlich-technischen Erkenntnisse nur in der Patentliteratur und den entsprechenden Datenbanken zu finden sind. Es reicht also nicht aus, die Fachliteratur zu lesen. Wir haben Fachinformatoren an der Universitäts- und Landesbibliothek, die direkt für die nötige Recherche ausgebildet sind. Dort kann man sich an Dr. Doris Gerlach wenden.

Fünf Jahre dauert es im Schnitt von der Anmeldung bis zur Erteilung eines Patents. Und Geld kostet das Ganze auch. Schreckt das nicht ab?

Sie müssen einen langen Atem haben, anders geht es nicht. Um die Kosten brauchen Sie sich nicht zu sorgen, die übernimmt die Universität.

Der am Ende auch das Patent gehört?

Ja, eindeutig. Es gibt das sogenannte Arbeitnehmererfindergesetz. Seit 2002 auch ohne das Hochschullehrerprivileg. Alle Universitätsangehörigen haben eine Meldepflicht, wenn sie glauben, etwas erfunden zu haben.

Wie sieht es dann mit den Erlösen aus?

Die Rechte liegen bei der Universität als Dienstherr. Kommt es zu einer wirtschaftlichen Verwertung, die bei uns entweder in einer Lizenzierung oder einem Verkauf besteht, dann werden die Erfinder beteiligt. Sie haben Anspruch auf 30 Prozent der Einnahmen.

Wie viel Geld nimmt die Universität durch solche Verwertungen ein?

Im vergangenen Jahr waren es rund 73.600 Euro.

Nochmal zu den Geisteswissenschaftlern: Wie schützen sie am besten ihr geistiges Eigentum?

Dafür gibt es das Urheberrecht. Es zählt die Autorennennung bei einer Publikation. Bei den technischen Schutzrechten haben sie ein formales Eintragungsprozedere. Bei geisteswissenschaftlichen Werken zählt die Schaffung des Werkes an sich. Ein Sonderfall ist die Informatik. Neue Software zum Beispiel ist keine technische Lösung – kommt aber entsprechende Hardware ins Spiel, dann kann das Patentrecht angewendet werden. Ein Knackpunkt beim Urheberrecht: Es ist ein höchst persönliches Recht, das nicht abgetreten werden kann. Per Gesetz ist der Urheber der Einzige, der über die Nutzung seines Werkes entscheiden kann. Mit einer Ausnahme: Wenn Sie als Beschäftigter im Rahmen Ihres Dienstverhältnisses dem Urheberrecht unterliegende Werke schaffen. Das gilt für Texte und für Software. Das Nutzungsrecht geht per Arbeitsvertrag stillschweigend auf den Arbeitgeber über. Nur für Professoren gilt das nicht.

Weitere Kurzinfos

Patente sind eine Variante des gewerblichen Rechtsschutzes. Darüber hinaus gibt es Gebrauchs- und Geschmacksmuster sowie Marken. So hat die MLU kürzlich die Marke „Steintor-Campus“ schützen lassen. Weitere Informationen finden Sie auf der Internetseite des Deutschen Patent- und Markenamtes.

Um den Service für die Wissenschaftler zur Ideensicherung und -verwertung auszubauen, bildet die MLU in der Forschungsabteilung in Kürze ein eigenständiges Referat „Technologietransfer, Erfinderservice“ (Arbeitstitel). Zwei Projektstellen werden dabei vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördert. Hintergrund ist der Erfolg der MLU im Förderwettbewerb „EXIST-Gründungskultur – Die Gründerhochschule“.

Interessante Informationen zum Thema enthält zudem die Studie „Warum aus Forschern keine Erfinder werden“, veröffentlicht vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZBrief Bildung 18).

Schlagwörter

Innovation

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Kommentare

  • Sylvio Weißbach am 04.05.2020 22:35

    Hallo!

    Ich habe Ihr Interview mit Frau Wissenbach gelesen.
    Folgendes Zitat ergibt für mich keinen Sinn:

    "Also erst anmelden, dann veröffentlichen?

    Genau. Mit der Anmeldung beim Patentamt erwerben Sie eine Priorität. Theoretisch können Sie morgens die Anmeldung machen und nachmittags das Kolloquium, bei dem Sie darüber sprechen. Aber erst nach 18 Monaten wird bekannt gemacht, dass Sie etwas angemeldet haben. Innerhalb dieser Frist kann jemand das Gleiche erfinden und anmelden. Dann greift ein kostenloses Mitbenutzungsrecht. Also ist es besser, mit der Veröffentlichung zu warten."

    Ist es nicht sinnvoll nach einer Anmeldung zu veröffentlichen also eine sogenannte Defensivpublikation zu starten um potentiellen Neuanmeldern den Wind aus den Segeln zu nehmen?

    Danke.

    mfG

    • Robert Szczesny am 08.05.2020 14:18

      Hallo!
      Ob eine Publikation verzögert oder schnell erfolgen sollte, hängt vom Einzelfall ab. In Unternehmen ist in den meisten Fällen sicherlich die lange Geheimhaltung zu bevorzugen. Für einen Doktoranden an einer Forschungseinrichtung hingegen stehen 18 Monate Wartezeit bis zur Offenlegung einer Patentanmeldung und erst anschließende Publikation in keinem Verhältnis zur Gesamtzeit seiner Qualifizierung. Hier muss also sorgfältig abgewogen werden. In Unternehmen werden Defensivpublikationen anstelle von Patentanmeldungen veröffentlicht, um bspw. die eigene Handlungsfreiheit aufrechtzuerhalten - ein Mittel, von dem an Hochschulen wenig Gebrauch gemacht wird. Eine zeitnahe Veröffentlichung ist meist unkritisch, wenn z. B. eine Erfindung „fertig“ ist, sich also nicht mit vertretbarem Aufwand in absehbarer Zeit erweitern oder verbessern lässt. Dann wird mit einer Publikation schnell „Stand der Technik“ geschaffen, der auch die Konkurrenz ausbremsen kann. Forschungseinrichtungen arbeiten jedoch oftmals an breiten Fragestellungen, aus denen neben dem Haupteil der Ergebnisse nur hin und wieder ungezielt patentierbare Erfindungen hervorgehen. Im Gegensatz zu Patentschriften werden in Publikationen der Ergebnisse dieser Fragestellungen häufig auch zusätzliche, auf den ersten Blick für den Forscher nicht erfindungsrelevante oder vorläufige Daten eingebracht und über mögliche Anwendungen spekuliert. Das wertet zwar die Publikation auf, hilft dem Verständnis der Gesamtthematik und unterstreicht die Relevanz der eigenen Forschung, es wird so aber auch sofort Stand der Technik geschaffen, der später weiteren, auch den eigenen, Patentanmeldungen entgegenstehen steht. Hier ist also Vorsicht angebracht und eine Beratung sinnvoll, bspw. durch den Transfer- und Gründerservice der MLU.
      Beste Grüße, Robert Szczesny

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