Kristallbildung: Polymerforscher tagen in Wittenberg

12.09.2017 von Tom Leonhardt in Wissenschaft, Forschung
Es ist längst nicht mehr nur die Plastiktüte. Polymere finden sich überall, im Alltag, der Technik, in der Natur und in der Forschung. Zentral für das Verständnis der Eigenschaften von Polymeren ist der Prozess ihrer Strukturbildung – dazu gehört auch die Bildung von Kristallen. Diese stehen vom Sonntag, 17. September, bis Mittwoch, 20. September im Zentrum einer internationalen Tagung, die in der Stiftung Leucorea in Wittenberg stattfindet. Organisiert wird die Veranstaltung vom Sonderforschungsbereich SFB-TRR102 „Polymere unter Zwangsbedingungen“ der Uni Halle. Im Interview erklärt der SFB-Sprecher Prof. Dr. Thomas Thurn-Albrecht die Bedeutung der Polymerkristalle.
Dünne Polymerfilme wie dieser eignen sich auch für elktro-optische Anwendungen.
Dünne Polymerfilme wie dieser eignen sich auch für elktro-optische Anwendungen. (Foto: David Ausserhofer / SFB TRR 102)

Sind Polymere nicht eigentlich immer weich, wie in Plastiktüten?
Thomas Thurn-Albrecht: Jein. Viele Polymermaterialien im Alltag sind teilkristallin – also formstabil, aber weicher als traditionelle Festkörper. Unter Kristallen  verstehen wir allgemein einen Stoff, in dem auf atomarer Ebene die Bausteine regelmäßig also periodisch geordnet sind. Jedes Atom hat seinen Platz auf dem Gitter. Diese Körper sind eigentlich fest. Bei Polymeren ist diese Kristallisation aber nie vollständig. Sie befinden sich in einem teil-kristallinen Zustand, der Rest des Körpers ist dann noch weich oder flüssig. Deshalb ist das Material weicher und flexibler. Viele Polymermaterialien im Alltag sind teil-kristallin – formstabil, aber weicher als traditionelle Festkörper.

Wofür benötigen wir ein besseres Verständnis der Kristallbildung bei Polymeren?
Unsere Arbeit ist natürlich sehr stark grundlagenorientiert. Wir untersuchen die allgemeinen Prozesse der Polymerkristallisation. Die Ergebnisse davon sind aber auch im Alltag, etwa bei der Verarbeitung von Kunststoffen, allgegenwärtig. Typischerweise werden Polymere während ihrer Verarbeitung in einen flüssigen Zustand überführt und dann durch Abkühlen in ihre endgültige Form gebracht. Dabei wachsen kristalline Strukturen. Wir erforschen, wie diese Prozesse ablaufen. Dieses Wissen kann dabei helfen, Prozesse besser zu verstehen und auch zu optimieren.

Thomas Thurn-Albrecht
Thomas Thurn-Albrecht (Foto: David Ausserhofer / SFB TRR 102)

Wo spielen kristalline Polymere eine Rolle?
Ein in letzter Zeit viel beachtetes Anwendungsfeld sind polymere Halbleiter. Dabei handelt es sich um Materialien für elektronische Anwendungen,  organische LEDs (OLED) oder auch Solarzellen. Mehr als die Hälfte aller produzierten Kunststoffe ist teilkristallin: Ob nun die PET-Flaschen, Spielzeuge, Folien oder Kleidung aus Kunstfasern. Ein Beispiel für teilkristalline Biopolymere ist die Spinnenseide.

Wie erforscht man diese Prozesse?
Das machen Chemiker und Physiker im Idealfall gemeinsam. Bei Polymeren handelt es sich um komplex aufgebaute lange Kettenmoleküle. Hier kommen Chemiker ins Spiel, die diese Stoffe synthetisieren und charakterisieren. Die Physiker können dann mit verschiedenen Methoden, wie Röntgenstrukturanalysen, Kernresonanzspektroskopie (NMR) oder Rastermikroskopie, die Strukturen und Beweglichkeit der Polymere auf einer molekularen Skala untersuchen.

Hat die Forschung in den letzten Jahren große Entwicklungen gemacht?
Der Bereich der Polymerkristallisation ist ein lang erforschtes Feld, in dem es immer noch viele offene Fragen gibt. In den letzten 15 Jahren hat vor allem die Erforschung neuer Materialien einen großen Schub erfahren, etwa bei den polymeren Halbleitern. Wir wollen das Programm der Tagung noch um einen Schwerpunkt erweitern, den wir auch in unserem Sonderforschungsbereich bearbeiten: die Biopolymere. Dazu gehören zum Beispiel Proteine und ihre fehlgefalteten Strukturen – diese stehen häufig in Verbindung zu Krankheiten, wie Alzheimer. Auf mikroskopischer Ebene gibt es aber viele Ähnlichkeiten in Bezug auf Strukturen und wie sich diese Strukturen bilden.

Was ist das Besondere an der Tagung?
Die Tagung wurde 1999 in Freiburg ins Leben gerufen. Organisiert hat sie erstmals Prof. Dr. Gert Strobl, der – nebenbei bemerkt – auch mein akademischer Lehrer war. Seitdem findet sie alle zwei Jahre an einem anderen Ort statt. Dass wir die Veranstaltung nach mehreren Stationen in Asien und den USA an die Uni Halle holen konnten, ist ein schöner Erfolg. Gleichzeitig wollen wir auch den wissenschaftlichen Nachwuchs stärker in die Tagung einbeziehen: Für internationale Nachwuchswissenschaftler haben wir einige Reisestipendien ausgeschrieben. Die Teilnehmer unseres im Sonderforschungsbereich integrierten Graduiertenkollegs werden auch mit Posterpräsentationen vertreten sein. Das alles ist nur möglich über die Mittel der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die unseren SFB mit einer guten finanziellen Ausstattung versehen hat. Gleichzeitig versuchen wir, sehr viel Gewicht auf den wissenschaftlichen Austausch zu legen und haben viel Zeit für Diskussionen und Poster-Sessions eingeplant.

Zur Tagung

International Discussion Meeting on Polymer Crystallization 2017
Sonntag, 17. September, bis Mittwoch, 20. September
Lutherstadt Wittenberg
www.idmpc2017.uni-halle.de

 

Kontakt: Prof. Dr. Thomas Thurn-Albrecht
Institut für Physik
Tel.: +49 345 55-25340
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