Herz im Takt: Kardiologen entwickeln Gerät zur Herzunterstüzung

08.06.2016 von Michael Deutsch in Forschung, Wissenschaft
Ein neues, temporäres Herzunterstützungssystem könnte bald dabei helfen, das Herz eines Menschen nach einem Infarkt wieder rhythmisch schlagen zu lassen. Mediziner des Universitätsklinikums Halle arbeiten gemeinsam mit zwei Unternehmen aus Potsdam an der Entwicklung eines weltweit einmaligen Geräts.
Von links: Die beiden Medi­ziner Jochen Schröder und Sebastian Nuding im Herzkatheterlabor am Universitätsklinikum Halle.
Von links: Die beiden Medi­ziner Jochen Schröder und Sebastian Nuding im Herzkatheterlabor am Universitätsklinikum Halle. (Foto: Michael Deutsch)

Wenn das Herz eines Menschen geschwächt ist und es auch durch Medikamente nicht in einen Rhythmus kommt, dann steht sein Leben auf dem Spiel. Die volle Herz-Pumpleistung und damit die Lebenserhaltung kann vorübergehend oftmals nur durch künstliche Herzunterstützungssysteme erbracht werden. Doch das birgt etliche Risiken. „Die meisten der marktüblichen Herzunterstützungssysteme funktionieren mit mechanischen Pumpen, die quasi den Transport des Blutes übernehmen und die Arbeit des Herzens ersetzen“, erklärt Dr. Jochen Schröder, Facharzt für Innere Medizin am Universitätsklinikum Halle.

Doch wenn man sich für solch eine Herzunterstützung entscheide, bedeute das zugleich, in den geschlossenen menschlichen Blutkreislauf einzugreifen und in das vor äußeren Umwelteinflüssen geschützte Gefäßsystem einzudringen. Das Blut fließe, für jeden nachvollziehbar, dann nicht mehr nur über die körpereigenen Blutgefäße, sondern auch extern über Schläuche und Pumpen-Membranen. „Und das ist ein ganz entscheidender Nachteil“, betont der 34-Jährige. „Denn überall, wo das Blut mit fremden Oberflächen in Berührung kommt, besteht Blutgerinnungs- und Entzündungsgefahr.“

Neues Wirkprinzip ohne direkten Blutkontakt

Seit Jahren untersuchen die Kardiologen am Universitätsklinikum Halle das Herzversagen durch Herzinfarkt oder Blutvergiftung.
Seit Jahren untersuchen die Kardiologen am Universitätsklinikum Halle das Herzversagen durch Herzinfarkt oder Blutvergiftung. (Foto: UKH telle)

Also was tun? Natürlich nach einem neuen Wirkprinzip suchen, das ganz ohne den direkten Blutkontakt auskommt. Das ist keine Zukunftsmusik mehr: Die Ärzte der halleschen Universitätsmedizin Dr. Jochen Schröder und Dr. Sebastian Nuding sind aktuell an der Zulassung eines solchen weltweit einmaligen Herzunterstützungssystems beteiligt. Prof. Dr. Karl Werdan, der ehemalige Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III Halle, begleitet die Studien. Werdan hat auf dem Gebiet der kardiologischen Notfallmedizin und internistischen Intensivmedizin zahlreiche Studien initiiert und durchgeführt.

Unter dem Titel TEMPHUS wird das vielversprechende Forschungsprojekt aus dem „Rahmenprogramm Gesundheitsforschung Deutschland – Aktionsfeld Gesundheitswirtschaft“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 2,5 Millionen Euro für drei Jahre gefördert. TEMPHUS steht dabei als Abkürzung für temporäres, mechanisches Herzunterstützungssystem.

Doch wie funktioniert es? Vom Verständnis einfacher als die klassischen Systeme. „Das Prinzip kann man durchaus mit einer Herzdruckmassage vergleichen“, sagt Schröder. Es macht dem Herzen sprichwörtlich Beine. Dazu wird ein von einer druckbetriebenen Pumpe angetriebenes Kunststoffimplantat äußerlich an das schwache Herz angedockt. Über externe Schläuche werden dann die Pumpkammern des Implantats zyklisch von einer Steuereinheit mit Gas befüllt und vollziehen eine direkte Herzdruckmassage. Durch diese Kontraktionen könne die Pumpfunktion des Herzens unterstützt werden.

Und es gibt einen weiteren entscheidenden Vorteil. Für diese lebenserhaltende Maßnahme ist keine zeitaufwendige OP nötig. Laut Schröder kann das Kunststoffimplantat auf eine Größe von weniger als einem Zentimeter zusammengefaltet und durch Punktion minimal invasiv in den Brustkorb eingeführt werden. Ist das Implantat im Herzbeutelgewebe, in dem sich das Herz zum Schlagen frei bewegen kann, angekommen, spannt es sich auf.

Wie dehnbar ist das menschliche Herzbeutelgewebe?

Doch viele Fragen sind weiterhin offen. Jochen Schröder und Sebastian Nuding suchen nach den Antworten. „Es ist bislang ungeklärt, ob das Herzbeutelgewebe wirklich stark genug ist, diese Kräfte auszuhalten, die durch das Implantat verursacht werden“, sagt Schröder. „Wir brauchen dafür Daten, auch zur Modellierung von Computer-Simulationsmodellen. Diese biomechanischen Kennwerte kennt aber noch keiner. Das ist absolutes Neuland. Untersuchungen zur Dehnbarkeit menschlicher Herzbeutelgewebe gab es letztmalig in den 1920er Jahren“, so der gebürtige Essener, der seit 2009 in der Kardiologie im Universitätsklinikum Halle tätig ist. Akkurate, verlässliche Daten lieferten hier aber nur Untersuchungen an Tier und Mensch. „Wir kooperieren deshalb auch eng mit dem Institut für Pathologie.“

Um generell den Nachweis zur Wirksamkeit zu erbringen, wird ein so genanntes In-vitro-Modell genutzt, an dem der Blutkreislauf des Menschen mitsamt Herz künstlich nachempfunden ist. Schröder zeigt sich optimistisch. Das über das Implantat angetriebene Herzminutenvolumen, also die Menge Blut, die das Herz in einer Minute in den Blutkreislauf pumpt, liege schon bei über 3,5 Liter. Bei einem Menschen in Ruhe sind es 4,5 bis fünf Liter pro Minute.

Natürlich entwirft man als Kardiologe kein medizintechnisches Meisterstück am Reißbrett. Dafür ist Technologietransfer aus allen Disziplinen notwendig. Ein Konsortium zweier Unternehmen will das neuartige Herzunterstützungssystem unter wissenschaftlicher und anwendungsbezogener Begleitung durch die Kardiologen entwickeln. Neben dem Initiator des Vorhabens und Konsortialführer Thomas Otto von der Medizintechnikfirma Christoph Miethke GmbH & Co.KG aus Potsdam ist auch die smartpolymer GmbH aus Rudolstadt in das Forschungsvorhaben eingebunden. Sie übernimmt die Tests der biokompatiblen Implantat-Materialien.

Für die halleschen Kardiologen als wissenschaftliche Betreuer sprach die jahrelange Expertise auf dem Gebiet des Herzfunktionsversagens, nicht nur in Folge eines Herzinfarkts, sondern ebenso bei Blutvergiftungen. Denn auch in diesem Fall benötigten Patienten solche Herzunterstützungssysteme. Parallel laufen am Uniklinikum noch entsprechende Machbarkeitsstudien. Als Hausaufgaben müssen die klinischen Grundlagen erforscht werden. Der Ehrgeiz ist groß, der Zeitplan straff. „Wir brauchen eine vorläufige Zulassung für das Gerät, damit hier die ,First-In-Man‘-Studie laufen kann“, sagt Schröder. „Bereits Mitte 2017 wollen wir mit den ersten klinischen Studien am Menschen beginnen.“

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Medizin

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