Digitalisierte Schätze

15.10.2020 von Katrin Löwe in Wissenschaft, Forschung
Die Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt (ULB) stellt zahlreiche ihrer historischen Bestände online für die Forschung zur Verfügung – von der mittelalterlichen Handschrift über wertvolle Urkunden bis zu Drucken aus dem 18. Jahrhundert. Seit dem Start des ersten Projekts 2007 wurden bereits Millionen Seiten digitalisiert.
Anke Hämsch scannt in einem der aktuellen Projekte an der ULB eine mittelalterliche Handschrift ein.
Anke Hämsch scannt in einem der aktuellen Projekte an der ULB eine mittelalterliche Handschrift ein. (Foto: Maike Glöckner)

Ein Buch hat es Dr. Julia Knödler besonders angetan: ein illuminiertes Evangeliar aus Quedlinburg mit dem Text der vier Evangelien. Zwar hat es keinen goldenen Prachteinband wie das berühmte Evangeliar des Domschatzes in Quedlinburg. „Aber auch unseres stammt aus der Karolingerzeit“, sagt die Leiterin der Historischen Sammlungen an der Universitäts- und Landesbibliothek Sachsen-Anhalt. Und es enthalte nicht nur schöne Buchmalereien. „Das Buch selbst hat im Laufe der Zeit interessante Wandlungen vollzogen“, so Knödler. Im 9. Jahrhundert vermutlich ein prestigeträchtiges Geschenk für das Stift Quedlinburg wurde es zum identifikationsstiftenden Kultobjekt und schließlich zum Wertgegenstand, heute ist es Teil des kulturellen Erbes Sachsen-Anhalts. Derzeit gehört es zu den mittelalterlichen Handschriften der ULB, die für die Forschung digitalisiert werden. Noch bis Anfang 2021 läuft ein von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördertes Projekt.

Vorsichtige Handarbeit

Uwe Hämsch mit dem Evangeliar aus Quedlinburg
Uwe Hämsch mit dem Evangeliar aus Quedlinburg (Foto: Maike Glöckner)

Insgesamt verfügt die ULB über rund 320 mittelalterliche Handschriften. Das aktuelle Vorhaben konzentriert sich unter anderen auf Handschriften der ehemaligen Quedlinburger Stiftsbibliothek, die Jahrzehnte in der Gymnasialbibliothek gelagert waren und gemäß eines ministeriellen Beschlusses in den Jahren 1938 und 1939 in die Universitätsbibliothek Halle überführt wurden. Unikate, die für die Forschung von höchstem Interesse sind, wie Knödler betont, das älteste noch aus dem ausgehenden 8. Jahrhundert: eine Sammlung von Kirchenväterbriefen aus dem klösterlichen Skriptorium in Chelles (Frankreich).

Häufig, erklärt die Expertin, können Forscher später mit dem Digitalisat besser arbeiten als mit dem Original, allein durch die Möglichkeit der Vergrößerung und des direkten Vergleichs mit anderen Werken. „Damit kann man viele Forschungsfragen klären.“ Die Digitalisierung freilich ist aufwändig. So wird bei den Handschriften kein Scanner mit Glasplatte verwendet, weil beim Öffnen der Klappe ein Vakuum zwischen Platte und Papier entstünde, das kleine Tintenteilchen mit sich ziehen kann und das Original so beschädigt, erklärt die für digitale Dienste zuständige ULB-Mitarbeiterin Anja Piller. Da die Werke zudem nicht bis zu einem Winkel von 180 Grad aufgeklappt werden können, müssen anders als sonst üblich mit Hilfe eines Winkels jeweils die Vorder-und Rückseite einzeln gescannt oder ein spezieller Scanner mit einem kleineren Öffnungswinkel eingesetzt werden – mit maximaler Vorsicht versteht sich. Im Vergleich zu anderen Arbeiten nehme die Digitalisierung der Handschriften die doppelte bis dreifache Zeit in Anspruch, so Piller.

Ein weiteres Projekt, das sich mit handschriftlichen Originalen befasst, läuft gerade an: die Restaurierung und Digitalisierung der Urkundensammlung des italienischen Historikers Carlo Morbio (1811-1881), zu der unter anderen mittelalterliche Urkunden von Päpsten, Königen und berühmten italienischen Familien gehören. Damit und mit Großprojekten zur Digitalisierung historischer Zeitungen und Drucke des 18. Jahrhunderts setzt sich eine ganze Reihe von Digitalisierungsunternehmen an der ULB fort.

15 Millionen Seiten

In einem enormen Ausmaß widmet sich die Bibliothek seit rund 13 Jahren der Retrodigitalisierung von deutschen Drucken aus dem 16. bis 18. Jahrhundert. Der Hintergrund für diese Initiative: In Deutschland gab es bis 1912/1913 keine Nationalbibliothek, in der diese Schriften eigentlich gesammelt worden wären. Seit dem Ende der 80er Jahre wurden durch die Zusammenarbeit mehrerer Bibliotheken Verzeichnisse deutscher Drucke aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert erstellt, aus denen nun eine Nationalbibliographie entsteht. Aus dieser soll sukzessive auch eine Art digitale Nationalbibliothek entstehen, dabei wird zwischen den beteiligten Bibliotheken ausgehandelt, wer welches Buch digitalisiert, erklärt Piller. Die ULB gehöre insbesondere bei den Drucken des 18. Jahrhunderts zu den großen Playern. Derzeit läuft der vierte Abschnitt des Vorhabens – erstmals als Kooperationsprojekt, bei dem auch Bestände der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen sowie der Marienbibliothek Halle einbezogen werden.

Darüber hinaus digitalisiert die ULB Zeitungen, Stammbücher und Werke für den hier ansässigen DFG-Fachinformationsdienst Nahost-, Nordafrika- und Islamstudien, aber auch Publikationen auf Wunsch von Nutzern weltweit. Für Letztere erreichen sie selbst Anfragen aus den USA, gefragt waren zuletzt zum Beispiel ein Alchimistenbuch oder eine aus der Mitte des 19. Jahrhunderts stammende „Gründliche Anleitung zu Heilung jeder Kahlköpfigkeit, die nicht durch höheres Alter entstanden ist“.

Insgesamt, bilanziert Piller, konnten seit dem Beginn der ersten Projekte 2007 in Halle mehr als 15 Millionen Seiten digitalisiert werden – überwiegend gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Der Bibliothek stehe dafür ein Scannerpark mit elf verschiedenen Gerätetypen und teilweise bis zu drei Geräten pro Typ zur Verfügung. Das Ende 2017 angeschaffte ScanStudio ist hierbei wahrscheinlich eines der beeindruckenderen Geräte.

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