Die Geschichte der Insassinnen von „Zelle 18“

11.09.2014 von Margarete Wein in Rezension, Wissenschaft
Das Leben im Gefängnis folgt bestimmten Regularien, so auch im Frauentrakt der Haftanstalt Berlin-Moabit im Jahr 1943. Es gibt Tage, die fast „normal“ zu sein scheinen, an denen sich die Gefangenen beinahe unbeschwert fühlen, andere aber voller Verzweiflung und Angst. „Denn der Tod kam in Moabit in der Regel mittwochs“, als Mitteilung über das abgelehnte Gnadengesuch einer zum Tode Verurteilten.
Das Buch ist 2014 im be.bra-Verlag erschienen.
Das Buch ist 2014 im be.bra-Verlag erschienen.

Wie jemand unter einem solchen psychischen Druck, von Woche zu Woche, überhaupt leben konnte, wird Nichtbetroffenen immer unvorstellbar bleiben. „Zelle Nr. 18“ vermittelt eine Ahnung davon. Die Schriftstellerin Simone Trieder und der Historiker Lars Skowronski stellen die Biografien der drei Insassinnen – Krystyna Wituska, Lena Dobrzycka und Maria Kacprzyk – jener Zelle und mehrere Mitgefangene, die ihr Schicksal teilten, vor. Sie waren eng verbunden mit Hedwig und Helga Grimpe.

Hedwig, die Wärterin, folgt der Stimme ihres Herzens und wird „Sonnenschein“ genannt; Tochter Helga ist zwar Mitglied im Bund Deutscher Mädel, einer nationalsozialistischen Jugendorganisation, doch sie versteht mehr von Politik als viele ringsum. Sie übermittelt („für den Fall der Hinrichtung“) Briefe der Gefangenen an die Familien in der Heimat. Glühend wünscht sie es sich, aber Helga kann kein Teil des Kleeblatts sein; sie bleibt „das Mädchen aus einer anderen Welt“. Sie kann nur Äpfel, Zigaretten, Medikamente schmuggeln, ein wenig menschliche Wärme geben – und die „Kleeblattbriefe“ aufbewahren.

Am 70. Todestag von Krystyna Wituska wurde ein Denkmal auf der Ehrengrabstätte der Anatomie auf dem Getraudenfriedhof eingeweiht
Am 70. Todestag von Krystyna Wituska wurde ein Denkmal auf der Ehrengrabstätte der Anatomie auf dem Getraudenfriedhof eingeweiht (Foto: Daniel Gandyra)

Krystyna, Häftling Nr. 1695/42 und Zellenälteste, hat diese erhoffte bessere Zukunft nicht mehr erlebt. Sie wurde Ende Oktober 1943 in den „Roten Ochsen“ nach Halle verlegt und am 26. Juni 1944 geköpft. Eine von 549 Frauen und Männern aus 15 Ländern, die dort von 1942 bis 1945 im Namen einer perfiden „Rechtsprechung“ ermordet wurden. 75 der Leichname verbrachte man in die Gerichtsmedizin der halleschen Universität. 70 Jahre danach, im Juni 2014, wurde ein auf Initiative von Bernd Fischer, Direktor des Instituts für Anatomie und Zellbiologie, gestifteter Gedenkstein eingeweiht. Gestaltet von Bernd Göbel, trägt er, symbolisch für alle diese Opfer des Naziregimes, Krystynas Namen und Bild.

Zwei der drei „Kleeblattmädchen“, Krystyna und Maria, hatten im Sommer 1942 wie ihre Freundin Wanda „bei Gott und der heiligen Jungfrau Maria, der Königin von Polen“ den Eid der polnischen „Heimatarmee“ geschworen, jener Organisation, der auch Marias jüngerer Bruder Janusz angehörte und für die sie, „falls es sein müsste, auch unser Leben […] hingeben“ würden.

Nach ihrer Verhaftung kamen sie in das Gestapo-Gefängnis „Pawiak“, in der Nähe des Warschauer Ghettos, dann in eine Massenzelle im Polizeigefängnis am Berliner Alexanderplatz und schließlich in das „Zellengefängnis“ in Moabit. Zeitweilig teilten sie Zellen mit später (im August 1943) hingerichteten Mitgliedern der „Roten Kapelle“: Maria mit Else Imme, Wanda mit Eva-Maria Buch, Krystyna mit Rosemarie Terwiel, genannt „Mimi“. Durch sie bekam Krystina Kontakt zu den Geschwistern Gerd und Ursel Terwiel in Berlin-Halensee; eine Zeitlang hoffte sie, später dorthin umzuziehen …

Wie viele andere verstand sie nie, warum das Reichskriegsgericht so unterschiedliche Urteile fällte. „Maria, das Glückskind, hat keine Todesstrafe. Sie wird überleben.“ Und die unglaubliche Begnadigung für Olga! Ahnungsvoll schreibt Krystyna an Helga: „Wenn sie mich tot machen, segle ich auf einer Wolke wie ein dickes Engelchen über dein Haus um zu sehen, was unsere Helga treibt.“ Angesichts des nahen Todes verschweigt sie ihrem Verlobten Zbigniew Walc, dass sie ihn nicht liebt.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs fanden einige der Überlebenden einander wieder; Maria war seit 1980 erneut im Untergrund – für die Solidarność – aktiv. Dass auch der Widerstand von damals nicht vergessen ist, versicherten ihr die Autoren kurz vor ihren Tod in Danzig im Jahr 2011. So erfuhr sie noch, was für ein bewegendes, zugleich trauriges und zuversichtliches Buch da entstand: über Mut und Freundschaft, über Menschlichkeit in Zeiten der Finsternis.

► Simone Trieder/Lars Skowronski: Zelle Nr. 18. Eine Geschichte von Mut und Freundschaft, 224 S., zahlreiche Fotos u. Faksimiles, Berlin 2014: be.bra verlag, ISBN: 978-3-89809-117-6

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